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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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sie wollte sich jetzt nicht mit solchen Nebensächlichkeiten aufhalten.
    Schon nach dem ersten Tässchen ging es Ann Kathrin besser. Frau Klocke erzählte von ihrer Tochter Isolde, die Kriminalhauptkommissarin gewesen sei. Der Mann an ihrer Seite sei ein gewisser Ludwig Stein, der Lebensgefährte ihrer Tochter. Die beiden seien sehr glücklich miteinander gewesen.
    Frau Klocke hatte noch mehr Fotos von ihm. Ann Kathrin spürte wieder einen Anflug von Schwindel. Dann sah sie ihren Vater mit dieser Frau in Venedig auf dem Markusplatz. Auf dem nächsten Bild stieg er mit ihr in eine Gondel. Dann kamen Fotos aus Rom und Amsterdam. Ihr Vater trug bunte Hemden und lockere, farbige Jacketts, die sie früher nie an ihm gesehen hatte.
    Nun wollte Frau Klocke etwas über die Beziehung zwischen Ann Kathrin und ihrer Tochter wissen. Frau Klocke sah Ann Kathrin dabei freudig aufgeregt an, fast als könne eine kleine Anekdote ihre Tochter für eine kurze Zeit wieder lebendig machen.
    Ann Kathrin musste die nette Dame enttäuschen. Um freier sprechen zu können, erhob sie sich aus dem plüschigen Sessel und verfiel in ihren Verhörgang. Drei Schritte, eine Kehrtwendung, drei Schritte, eine Kehrtwendung.
    »Ich kenne Ihre Tochter gar nicht. Aber das da ist mein Vater. Er war bei der Kripo und wurde bei einem Banküberfall erschossen. Der Täter läuft immer noch frei herum und … «
    Frau Klocke schüttelte den Kopf. »Nein, junge Frau. Sie irren sich. Meine Tochter war bei der Kripo! Nicht Herr Stein.
Er war Geschäftsmann, hat mit Diamanten gehandelt und mit Antiquitäten.«
    Ann Kathrin musste sich setzen. Die Kraft wich aus ihr. Sie bat Frau Klocke um ein Glas Wasser. Dann räusperte Ann Kathrin sich. »Danke, Frau Klocke. Tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände mache. Es geht mir nicht besonders. Wissen Sie, mein Vater war bis zu seinem Tod mit meiner Mutter verheiratet und … «
    Frau Klocke winkte beschwichtigend ab. »Aber liebes Kind, das ist nicht Ihr Vater. Das ist Herr Stein. Bestimmt sieht er Ihrem Vater ein wenig ähnlich. Wahrscheinlich wünschen Sie sich einfach zu sehr, dass er noch lebt. Glauben Sie mir, wenn jemand das versteht, dann ich. Manchmal sehe ich meine Tochter auf der Straße vor mir her laufen. Ich rufe sie dann und bin mir ganz sicher, ja, das ist sie. Das muss sie sein. Aber dann, wenn sie sich umdreht, ist es eine wildfremde Frau.«
    Ann Kathrin hörte nicht mehr zu. Sie sagte nur: »Das ist mein Vater. Das sind seine Augen. Seine Haare. Sein Lächeln. Seine Figur und … « Ann Kathrin tippte auf das Strandfoto. »Da, die Narbe am Hals, die stammt von einem Holzsplitter beim Campen. Er hat sich mit einem Beil ungeschickt angestellt. Ich war dabei. Es hat so sehr geblutet, ich hatte Angst um ihn … «
    Ann Kathrin wollte noch viel wissen, aber Frau Klocke bat sie, morgen wiederzukommen. Sie sei mit ihren fünfundsiebzig Jahren für solche Aufregungen im Grunde schon zu alt.
    Ann Kathrin bat um ein paar Bilder. Frau Klocke überlegte kurz, prüfte mit kritischem Blick Ann Kathrins Vertrauenswürdigkeit und nickte dann großzügig.
    Als Ann Kathrin die Wohnung von Frau Klocke verließ, krächzte über ihr eine angriffslustige Möwe.
     
    Im Distelkamp 13 warf Ann Kathrin sich in ihrem Arbeitszimmer im Obergeschoss aufs Sofa und starrte an die Decke. Dann
telefonierte sie mit Weller. Er hatte zwar Sorge, Ann Kathrin könne sich da in etwas hineinsteigern, aber er spürte durch ihre Mattigkeit hindurch eine wilde Entschlossenheit, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Er gab die Namen ins System ein und versprach, heute Abend alle Informationen über Isolde Klocke, ihren Tod und Ludwig Stein mitzubringen.
    Ann Kathrin fiel erschöpft in einen tiefen, zunächst traumlosen Schlaf. Aber dann wurden die Bilder, die aus ihrer Seele hochstiegen, umso heftiger. Ihr toter Vater stand vor ihr. Die Kugel hatte seinen Hals zerfetzt, aber im Traum sprach er klar und deutlich: »Was weißt du denn schon von mir, mein Mädchen? Ich war nicht nur der Vater, Ehemann und Kommissar. Mein Leben war unendlich viel bunter, als du denkst.«
    Während er zu ihr sprach, heilte seine Wunde. Das Blut verschwand von seinem Hals, sein Lächeln wurde milde, als hätte er vor, ihr etwas zu verzeihen, aber seine Stimme wurde leiser, und das Bild von ihm verblasste. Gleichzeitig entfernte es sich. Bevor es mit einem Plopp verschwand, rief Ann Kathrin: »Ich werde deinen Mörder finden, Papa!«
    Als sie aufwachte, kniete sie,
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