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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Kathrin.
    Käfer liebte es, Kripobeamte vorzuführen. Er tat es geradezu genüsslich. Entscheidungen, die sie unter großem Druck in Sekunden fällen mussten, studierte er ruhig bei einem Latte macchiato mit drei Stückchen Zucker und fieselte fein auseinander, was wie warum falsch gelaufen war. Nach Befragungen durch ihn fühlte sie sich jedes Mal als Idiotin, völlig unfähig und hoffnungslos überfordert. Er zögerte nicht, Verfahrensfehler aus anderen Verhaftungen ins Feld zu führen, um den Richter
davon zu überzeugen, dass dem Angeklagten Unrecht geschah: »Ich kenne die werte Kommissarin aus anderen Prozessen. Ihre unorthodoxen Methoden haben sich oft am äußersten Rand der Rechtsstaatlichkeit bewegt und wurden schon mehrfach juristisch korrigiert. Die Staatskasse musste sogar schon Schadenersatz zahlen, weil … «
    Nein, das würde sie sich heute nicht antun.
    Danke, Wecker! Danke, Vergaser! Danke, Handy! Ich habe die Botschaft verstanden. Ich werde zu Hause bleiben. Ich werde zu Dr.Bill gehen und mich krankschreiben lassen.
    Sie betrachtete ihr Gesicht im Rückspiegel. Sie hatte nicht geduscht und die Haare einfach mit einer Spange zusammengeklemmt. Ihre Haut war blass und ihre Lippen wirkten blutleer. Sie klatschte sich mit der offenen Hand ins Gesicht, um ein bisschen mehr Farbe zu bekommen. Vergeblich.
    Dr.Bills Praxis war wegen einer Fortbildung geschlossen. Ann Kathrin Klaasen sah zum Marktplatz hinüber. An der Fischbude hatte sich eine Schlange gebildet. Sie bekam Hunger auf ein Krabbenbrötchen und hielt ihr Gesicht in die Sonne.
    Ein paar freie Tage sind alles, was ich brauche, dachte sie und ging zu Dr.Ekkehart Wolter. Es saßen nur drei Leute im Wartezimmer. Ann Kathrin nahm sich ein Glas Wasser. Neben ihr blätterte eine alte Dame aus dem Seniorenzentrum der AWO in einer Zeitschrift. Das Blatt interessierte sie nicht. Sie wollte ein Gespräch beginnen und stellte sich vor.
    Ann Kathrin antwortete freundlich, ohne sich innerlich auf den Dialog einzulassen. Als Frau Klocke aufgerufen wurde, erhob sie sich umständlich und stöhnte. Dabei fiel ihre Handtasche auf den Boden. Der Inhalt kippte aus. Ann Kathrin bückte sich sofort und half Frau Klocke beim Zusammenpacken.
    Das Portemonnaie lag offen. Das Foto hinter der Plastikfolie nahm Ann Kathrin die Luft. Das da war ohne jeden Zweifel ihr Vater. Mit seinem unwiderstehlichen Lachen stand er an einem
Sandstrand neben einer Bikinischönheit. Er hatte locker einen Arm um ihre Hüfte gelegt.
    Ann Kathrin konnte nicht anders. Ohne um Erlaubnis zu fragen, fingerte sie das Bild aus der Hülle, um es genauer betrachten zu können. Hitze- und Kälteschauer liefen ihr in Wellenbewegungen über den Körper.
    Hintendrauf stand mit dünner Kugelschreiberschrift: Hotel Inselfriede, Süderloog 12 , Spiekeroog.
    Frau Klocke registrierte die merkwürdige Reaktion und fragte. »Kennen Sie meine Tochter?«
    Ann Kathrin schüttelte den Kopf. »Nein, aber das da neben ihr ist … « Sie sprach die Worte »mein Vater« nicht aus. Sie öffnete nur tonlos den Mund.
    »Das ist das letzte Foto, das ich von meiner Tochter habe. Sie ist vor Spiekeroog ertrunken.«
    Das Wartezimmer begann um Ann Kathrin zu trudeln. Sie sackte zusammen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie das beruhigende Gesicht von Dr.Wolter. Neben ihm seine Frau, die sich an Ann Kathrins Arm zu schaffen machte.
    Ann Kathrin sah nicht hin. Sie vermutete, dass man ihr gerade Blut abgenommen hatte. In Wirklichkeit hing sie an einem Tropf. Dr.Wolter hatte ihren Blutdruck gemessen und sah sich Ann Kathrins EKG an.
    »Sie sind kollabiert«, sagte er. »Bleiben Sie ruhig noch ein bisschen liegen.« Er zeigte auf den Tropf. »Das da ist nur Kochsalzlösung. Sie brauchen jetzt eine Menge Flüssigkeit.«
    Bevor er sie gehen ließ, musste sie ihm versprechen, sich ein paar Tage auszuruhen. Aber sie dachte gar nicht daran, sich jetzt zu Hause hinzulegen. Sie besuchte stattdessen Frau Klocke in ihrer 45 -Quadratmeter-Wohnung auf dem AWO -Gelände in der Schulstraße 71 .
    Draußen vor dem Fenster hoppelten Kaninchen zu einem
Stück altem Brot. Sie wurden von einer Möwe vertrieben, die ihnen die Beute mit ihrem spitzen Schnabel abnahm und mit den Flügeln flatterte, als wolle sie die Kaninchen warnen, nicht noch einmal ihr Jagdrevier zu betreten.
    Frau Klocke hatte sich gerade einen Ostfriesentee gekocht. Der ganze Raum roch danach. Ann Kathrin mochte eigentlich gar keinen Tee, sie trank viel lieber Kaffee, aber
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