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Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual
Autoren: George Mann
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Miss
Hobbes.« Er betrachtete sie von oben bis unten. »Nach der langen Reise sind Sie
sicher müde. Ich glaube, es wäre am besten, wenn ich Ihnen sogleich Ihre neuen
Räumlichkeiten im Institut zeige, damit Sie sich ein wenig ausruhen und erholen
können. Später reden wir dann darüber, wie wir Ihr … Ihr Leiden behandeln
können.« Er lächelte. »Kommen Sie. Können Sie gehen?«
    Amelia seufzte. »Ein Stückchen vielleicht. Leider bin ich seit
einiger Zeit recht schwach.«
    Dr. Fabians Knopfaugen suchten ihren Blick. »Ja. Wir müssen sehen,
was wir deshalb tun können. Wenn Sie jetzt aus der Kutsche klettern würden,
dann können Sie den Rollstuhl benutzen, den wir bereitgestellt haben, um Sie in
Ihre Räume zu bringen.«
    Amelia nickte. Mit großer Anstrengung stand sie von ihrem Platz auf
und hielt sich an den Seitenwänden der Kabine fest, um nicht zu straucheln. Dr.
Fabian stieg auf den Fußtritt und bot ihr die Hand. Sie nahm dankbar an und
bemerkte, dass seine Finger dick, weich und gepflegt waren. Vorsichtig stützte
sie sich auf den Doktor und stieg aus. Als sie auf der Zufahrt stand, strich
sie ihre Kleidung glatt und blickte zum Gebäude. Das Grayling Institute war ein
sicherlich zwei- bis dreihundert Jahre altes riesiges Landhaus, das einst
gewiss Prinzen oder Königen als Sitz gedient hatte. Jetzt war es von der Wissenschaft
und ganz praktischen Zwecken in Beschlag genommen. Hier hatte Dr. Fabian seine
private Einrichtung angesiedelt, die er im Auftrag Ihrer Majestät der Königin
leitete. Hier verrichtete er seine großartige Arbeit, und hierher kamen die
Angehörigen der königlichen Familie, wenn sie einer Behandlung bedurften, sei
es nun die Syphilis oder der Ausbruch der »Familienkrankheit«. All dies hatte
sie von Veronica erfahren, und deshalb betrachtete sie voller Ehrfurcht das
Gebäude, den Arzt und die wundervolle Umgebung. Sie würde in einem Palast leben!
Schon diese Aussicht hob ihre Stimmung. Wie sollte sie hier nicht genesen?
Allein der Anblick reichte bereits aus, um neue Kräfte in ihr zu wecken.
    Dr. Fabian rückte die Brille zurecht. Amelia fragte sich, ob es ein
nervöser Tic war. In den letzten drei Minuten hatte er es ebenso viele Male
getan. Er blickte zur offenen Tür des Instituts, die sich am Ende eines langen
Anstiegs hinter vier korinthischen Säulen befand. Amelia nahm an, dass dort
einmal eine Steintreppe gestanden hatte, die jedoch einer Rampe gewichen war,
damit die Gebrechlichen leichter hinaufkamen. Dr. Fabians dünne Stimme hallte
laut im leeren Hof. »Wir sind jetzt bereit, Mister Calverton.«
    Im Schatten vor der Tür bemerkte Amelia eine Bewegung. Sie sah genau
hin, und richtig, einen Augenblick später tauchte eine Gestalt auf, die einen
kleinen Rollstuhl aus Weidengeflecht schob, auf dem sie vermutlich in das
Gebäude befördert werden sollte. Doch als die Gestalt aus den Schatten trat,
stockte Amelia der Atem in der Kehle. Der Mann ohne Gesicht! Diese Gestalt hatte sie in ihren Visionen gesehen. Auf einmal geriet sie in
Panik. Der Mann, der den Rollstuhl schob, ähnelte der Traumgestalt auf den
ersten Blick überhaupt nicht. Sein Gesicht war völlig hinter einer glatten
Porzellanmaske verborgen, die ein ganz ausdrucksloses menschliches Gesicht
zeigte. Durch zwei Schlitze spähten hellblaue Augen heraus, der Kopf war glatt rasiert,
nur einige rötliche Stoppeln wuchsen darauf. Der Oberkörper mit gutem schwarzem
Jackett und Krawatte war durchaus menschlich zu nennen. Unterhalb der Hüfte war
Mister Calverton jedoch eher Maschine als Mensch. Die Beine waren Vorrichtungen
aus glänzendem Messing gewichen, die wie eine Parodie ihrer natürlichen
Vorgänger wirkten. In den Hüften verrichteten fauchende Kolben ihre Arbeit, in
den Knien knirschten Umlenkrollen.
    Mr. Calverton neigte den Kopf, um Amelia zu begrüßen, gab sich
ansonsten jedoch schweigsam. Er ließ sich eine Weile Zeit, ehe er den Rollstuhl weiterschob.
Die spitzen Metallfüße scharrten über die Bodenplatten, und die Getrieberädchen
quietschten, während er langsam die Rampe herunterkam. Als er den Kiesweg
erreicht hatte, rollte er den Rollstuhl auf sie zu und winkte Amelia, sich
hinzusetzen. Sie bemerkte, dass er weiße Handschuhe trug.
    Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Der Mann hatte etwas an sich,
irgendetwas, das
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