Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Osiris Ritual

Osiris Ritual

Titel: Osiris Ritual
Autoren: George Mann
Vom Netzwerk:
er,
sie etwas noch viel Schlimmerem als physischer Gefahr auszusetzen, wenn er ihr
seine wahren Gefühle offenbarte. Er wusste, dass es zu nichts führen konnte,
ganz egal, ob sie etwa genauso viel für ihn empfand. Das Leben mit einem
Agenten war ein Leben voller Furcht und Verzweiflung, das vor allem von der
Sorge um den anderen bestimmt wurde. Für manche war es auch ein Leben voller
Trauer. Er konnte nicht zulassen, dass Veronica eines Tages so würde leben
müssen wie Catherine Ashford. Natürlich war ihm klar, warum Bainbridge sich um
Ashfords Frau kümmerte. Ihr und den Kindern sollte das Armenhaus erspart
bleiben, sie sollten ein halbwegs angenehmes Leben führen können. Bainbridge
ermöglichte ihnen, was Ashford seiner Familie nicht mehr bieten konnte, doch er
schenkte der Witwe auch das, was er sich selbst wünschte. Das war Bainbridges
geheimste Sehnsucht. Er sehnte sich nach Normalität und Vergessen. Das Leben
eines Agenten war vor allem einsam, und dafür gab es gute Gründe. Newbury würde
für Miss Hobbes tun, was er nur konnte, doch das Beste war, das wusste er
genau, überhaupt nichts zu tun. Charles hatte recht. Sie verdiente mehr, als er
ihr geben konnte.
    Newburys Pfeife war erloschen. Er sah sich um und blickte auf die
kleine Reiseuhr im Bücherregal, die zwischen Bergen von Notizbüchern und
Zeitschriften stand. Es war noch früh. »Ich muss schon sagen, wir sind heute
Abend ein wenig trübsinnig. Was halten Sie davon, wenn wir ins White Friar’s
fahren, eine Partie Billard spielen und ein wenig plaudern?«
    Bainbridge lächelte, sein Schnurrbart zuckte erfreut. »Wissen Sie
was, Newbury? Das ist der beste Vorschlag, den ich seit Tagen gehört habe.«
    Â»Dann kommen Sie, alter Mann.« Newbury
legte die Pfeife behutsam auf den Kamin. »Vergessen wir eine Weile die
Vergangenheit und die Zukunft, und erfreuen wir uns an der Gegenwart.«
    Bainbridge nickte. »Aber zuerst …« Er hob das Glas. »Zuerst der
Weinbrand.«
    Newbury lachte und folgte seinem Beispiel. »Ja, wirklich. Zuerst der
Weinbrand.«

26
    Newbury stand am Fenster, zog den Vorhang zurück und
spähte zur breiten Kensington High Street hinab. Inzwischen kam es ihm vor, als
wäre seit dem Vorfall auf Knox’ Tauchboot eine Ewigkeit vergangen, doch in
Wahrheit waren erst wenige Tage verstrichen. Der Nebel hatte sich inzwischen
gelichtet, nur ein paar dünne Finger klammerten sich störrisch an die
Straßenlaternen oder trieben durch die ruhigeren Stadtviertel.
    Auf der Straße herrschte reges Treiben. Er beobachtete eine vorbeifahrende
Omnibahn, in der die Fahrgäste im Takt zum Rattern des Vehikels auf und ab
federten. Passanten wichen auf dem Straßenpflaster den geschwind
dahinklappernden Droschken aus, spielende Kinder rannten hin und her und
tollten im morgendlichen Sonnenschein.
    Es war das dritte Mal, dass Newbury seine Assistentin nach ihrer
Entlassung aus dem Krankenhaus besuchte, und jedes Mal hatte sie geschlafen und
war außerstande gewesen, irgendjemanden zu empfangen. Wie bei den vorherigen
Gelegenheiten hatte Mrs. Grant sich sehr bemüht, ihn zu beruhigen und mit der
Versicherung wieder wegzuschicken, ihre Herrin erhole sich gut. Zweifellos
fürchtete sie, seine Gegenwart werde die Genesung auf irgendeine Weise stören.
An diesem Tag war er jedoch fest entschlossen, sich nicht abwimmeln zu lassen. Nun
wartete er im Salon, während Veronica gleich neben ihm friedlich schlummerte.
    Er drehte sich zu ihr herum und kehrte dem beständigen Straßenlärm
den Rücken. Sie ruhte auf einer Chaiselongue, Kopf und Schultern waren mit
Kissen gestützt, und sie lag unter einer Decke, die mit hübschen Weidenzweigen
bestickt war. Die Schulter war fest verbunden, um die Wunde zu stabilisieren.
Endlich regte sie sich, und er ging zu ihr und trat näher, damit sie ihn sah,
sobald sie erwachte. Tatsächlich öffnete sie die Augen, wirkte einen Moment
benommen und richtete schließlich den Blick auf Newbury. Ein Lächeln erhellte
ihr Gesicht. »Wie geht es Ihnen, Miss Hobbes?«
    Veronica befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge und sah sich nach
etwas zu trinken um. Newbury nahm den Krug vom Nachttisch und schenkte ihr ein
Glas Wasser ein. Sie trank gierig. Nach einem Moment gab sie es Newbury zurück
und hustete leicht. Endlich blickte sie ihn an. »Mir geht es recht gut, Sir
Maurice.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher