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Oscar

Oscar

Titel: Oscar
Autoren: David Dosa
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von ihrem Mann und wusste, dass sie bald wieder zusammen sein würden. Mary dachte an die Beziehung der beiden, die weit mehr als ein halbes Jahrhundert gedauert hatte, und daran, wie Frank trotz der Demenz seiner Frau unerschütterlich zu ihr gehalten hatte.
    »Tja, Oscar«, sagte Mary, »er hat sie wirklich geliebt. Wenn wir nur alle so viel Glück hätten!«
    Sie beugte sich vor und gab Ruth einen Kuss auf die Wange, während Oscar leise schnurrte. Einige Minuten vergingen, in denen sie gemeinsam still Wache hielten. Dann hörte man aus dem Zimmer nebenan ein leises Husten. Mary stand auf und sagte Lebewohl.
    »Alles Gute, Ruth! Ich hoffe, er wartet irgendwo auf dich.«
    Sie wandte sich dem schwarz-weiß gefleckten Kater zu.
    »Du kommst wohl nicht mit, oder?«
    Die einzige Antwort war ein Schnurren.
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich muss mich um die anderen kümmern.«
    Mary nahm sich vor, noch einmal zu Ruth hereinzuschauen, wenn sie mit ihrer Runde fertig war. Bevor sie den Raum verließ, warf sie einen Blick auf Oscar. Der hob den Kopf und sah sie an.
    »Danke, Oscar«, flüsterte sie und dämpfte das Licht.

[home]
    Vom Vorhandensein einer Katze hängt es ab,
ob man ein leeres Haus betritt oder ob man heimkommt.
    Unbekannt
    23
    E ines Nachmittags, einige Tage nach Ruths Tod, saß ich am Tisch der Schwesternstation und studierte eine Krankenakte, als ich aus dem Augenwinkel eine hektische Bewegung wahrnahm. Ich blickte den Flur entlang und sah, wie Maya in vollem Tempo hinter Oscar herjagte, wie Katzen es gerne tun, wenn sie sich langweilen. Amüsiert stand ich auf und beobachtete, wie die beiden an Louise Chambers vorbeiflitzten, die schlafend auf ihrem gewohnten Sessel saß. Dann waren Oscar und Maya fort.
    Der Anblick der beiden sich jagenden Tiere hatte ein Lächeln auf mein Gesicht gezaubert. Wie Mary gern sagte, war die Station wirklich ihr Zuhause. Ich blickte an Louise vorbei zu der Ecke, hinter der die beiden verschwunden waren. Der Schein der sinkenden Sonne fiel durch die Fenster und brachte die Wände zum Leuchten. Bald würde er auf den Boden fallen und dann verblassen. Er gehörte zu den Erscheinungen, die offenkundig nichts Bleibendes darstellen. Bei diesem Gedanken fiel mir Ruth Rubenstein ein, deren Tod mich noch sehr beschäftigte. Eine Stunde zuvor war ich allein in ihr Zimmer getreten und hatte das leere, säuberlich gemachte Bett betrachtet. Leer waren auch die Wände, an denen früher Bilder aus ihrer Vergangenheit gehangen hatten. Das Einzige, was noch an sie erinnerte, war eine letzte Spur ihres Parfüms, aber auch die würde mit der Zeit verschwinden.
    Die automatische Tür am Eingang der Station ging auf und ich wurde aus meinen Träumereien gerissen. Ich drehte mich um und sah Mimi, die für die Aufnahme neuer Patienten zuständig war. Sie führte einen alten Herrn und zwei Frauen um die fünfzig herein. Die beiden sahen wie Schwestern aus. Offenbar war Mimi dabei, den Besuchern das Haus zu zeigen, weil sie jemanden hier unterbringen wollten, wahrscheinlich die Mutter der beiden Frauen.
    »Das ist unsere Station für Patienten mit fortgeschrittener Demenz«, hörte ich sie sagen. »Sie verfügt über einundvierzig Betten und wird rund um die Uhr von Krankenschwestern betreut …«
    In diesem Augenblick schloss sich mit einem dumpfen Geräusch die Tür hinter den Besuchern. Selbst aus der Entfernung nahm ich wahr, wie diese erschraken. Schließlich waren sie nun mit den Patienten gewissermaßen eingesperrt. Sie hörten höflich zu, während Mimi weitersprach, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass die beiden Frauen dachten: »Wie können wir unsere Mutter bloß hier unterbringen? Hier kommt sie nie mehr raus! Das hat sie nicht verdient.« Es war eine Schockreaktion, wie ich sie schon oft gesehen hatte.
    Mimi führte die drei durch den Flur auf das alte Zimmer von Ruth Rubenstein zu. Dabei erklärte sie die wichtigsten Einrichtungen der Etage: Küche, Speisesaal und Stationszimmer. Als die Gruppe an der schlafenden Louise auf ihrem Sessel vorbeikam, blieb eine der Schwestern stehen, um sie in Augenschein zu nehmen.
    Wieder war mir ziemlich klar, was ihr im Kopf herumging: »Ob es der Frau da wohl gut geht? Wäscht man sie regelmäßig? Kümmert man sich wirklich um sie?«
    Für die drei ging es nun darum, die richtige Entscheidung zu treffen und sich zu vergewissern, dass sie den richtigen Ort für einen Menschen gefunden hatten, für den sie die Verantwortung trugen.
    Ich
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