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Oscar

Oscar

Titel: Oscar
Autoren: David Dosa
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verhindert, dass Oscar ins Zimmer ging, bis dieser sich schließlich frustriert zurückgezogen hatte. In der Nähe geblieben war er dennoch.
    George umarmte die Wächterin und betrat das Zimmer, um sich zu seiner Mutter zu setzen. Sie regte sich kurz, als hätte sie seine Ankunft wahrgenommen, sank jedoch gleich wieder in einen friedlichen Schlummer. George beobachtete ihren Atem. Er ging rasch und rhythmisch, aber nicht mehr so gewaltsam wie früher, als sie mehrfach unter Aspirationspneumonie gelitten hatte.
    Die rechte Hand seiner Mutter lag schlaff an ihrer Seite. George ergriff sie mit beiden Händen und drückte sie sich sanft an die Brust. Tränen strömten ihm übers Gesicht. Er wusste, nun war es bald vorbei.
    Eine Weile saß er da, ohne zu merken, wie die Zeit verging. Dann klopfte es an der Tür. Eine Putzfrau kam leise herein, verschwand im Badezimmer und trat wieder heraus, mehrere gefüllte Müllbeutel in der Hand. Als George sie ansah, lächelte sie ihn aufmunternd an. Er ließ den Kopf sinken.
    Im nächsten Augenblick spürte George eine Hand auf seiner Schulter. Er hob den Blick und sah, wie die Frau ihn besorgt betrachtete. Sie stellte ihre Utensilien auf den Boden und setzte sich neben ihn aufs Bett. Er ließ die Hand seiner Mutter los.
    »Nicht weinen!«, sagte die Putzfrau und reichte ihm die Schachtel mit Papiertaschentüchern, die auf dem Nachttisch stand. »Denken Sie daran, Sie werden Ihre Mutter wiedersehen. Wir haben eine irdische Hoffnung, die das besagt.«
    Verblüfft starrte George die Frau an. Ob sie wohl zur selben Religionsgemeinschaft gehörte wie er und seine Mutter?
    »Kennen wir uns?«, fragte er.
    Die Frau schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Eigentlich nicht«, antwortete sie, »aber ich kenne Ihre Mutter. Ich arbeite schon acht Jahre hier. Früher, als Ihre Mutter noch in besserer Verfassung war, hat sie mich unterrichtet. Außerdem hat sie mir von der Bibel erzählt.«
    George spürte, wie auch auf sein Gesicht ein Lächeln trat. »Meine Mutter war ein bemerkenswerter Mensch«, sagte er.
    Die Frau nickte, dann stand sie auf, um wieder an die Arbeit zu gehen.
    »Ich wünsche Ihnen ganz viel Kraft!«, sagte sie mit fester Stimme, während sie ihre Sachen ergriff und das Zimmer verließ.
    Kaum war sie fort, als die Nachtschwester hereinkam, um die Patientin zu untersuchen. Sie beobachtete ihren Atem und blickte dabei auf ihre Armbanduhr, um die Frequenz zu zählen. Da offenbar keine Unregelmäßigkeiten festzustellen waren, fragte sie George, ob er etwas brauche. Er schüttelte den Kopf, worauf sie verschwand, jedoch nach einer kleinen Weile mit einem Sandwich zurückkehrte. Als er es sah, wurde ihm klar, dass er seit der Mittagszeit nichts mehr gegessen hatte. Er griff nach dem Sandwich und biss hungrig hinein.
    Mitten im Essen hörte George ein leises Tapsen auf dem Boden. Er senkte den Blick und sah Oscar vor sich sitzen. Das überraschte ihn nicht.
    »Hallo«, sagte er zu dem Kater. »Bist du auch hungrig?«
    Oscar saß einfach da. Eine merkwürdige Stille trat ein, in der die beiden sich beobachteten. Als George von seinem Sandwich ein Stück Schinken abriss und es Oscar hinstreckte, schnupperte der nur verächtlich daran. Deshalb war er offenkundig nicht gekommen. Er drehte sich um und sprang mit einem Satz aufs Fensterbrett. Dort ließ er sich geduckt nieder und spähte in die dunkle Nacht hinaus.
    George schob sich den letzten Bissen in den Mund, stand auf und schaltete den CD -Spieler an. Er legte eine der CDs aus der Sammlung seiner Mutter ein und wählte ihren Lieblingssong aus. Als die Musik ertönte, regte Iris sich erneut. George trat zum Bett und kniete sich davor. Die Augen seiner Mutter gingen auf, und sie sah ihn an.
    »Ich hab dich lieb«, sagte sie mit erstaunlicher Klarheit.
    Sobald sie diese Worte ausgesprochen hatte, verstummte sie wieder und sank in einen friedlichen Schlaf.
    Eine Weile blieb George am Bett knien. Als er merkte, dass sie bestimmt nicht mehr wach war, stand er auf, nahm eine Decke aus dem Schrank und kehrte damit zu seinem Sessel zurück. Innerhalb weniger Augenblicke zog die Musik ihn mit sich fort, und er schlief ein. Im Traum war seine Mutter bei ihm, gesund und völlig unversehrt.

    George schreckte auf. Desorientiert sah er sich um. Draußen war es noch immer dunkel. Als er auf seine Uhr blickte, sah er, dass es vier Uhr morgens war. Er hatte nur zwei Stunden geschlafen, fühlte sich jedoch erstaunlich frisch. Sofort warf er einen Blick
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