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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition)
Autoren: Lavie Tidhar
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zugleich aussah.
    »Was ist das?«, fragte er die junge Frau, die ihre ganze Aufmerksamkeit schon wieder dem Bildschirm zugewandt hatte. Sie blickte auf. »Triff den Clown«, sagte sie. »Für jeden Treffer kriegen sie hundert Yen.« Sie zuckte die Schultern. »Sie schaffen es nie, aber es ist lustig.«
    Joe lächelte, und sie drehte sich wieder zu ihrem Fernseher. Triff den Clown, dachte er. Er suchte die engen Gänge ab, fand aber keine Spur von dem Mann mit den glänzenden schwarzen Schuhen. »Ist hier gerade jemand durchgekommen?«, fragte er. Die Frau schien über die Frage nachzudenken. »War ruhig«, befand sie schließlich und drehte die Lautstärke am Fernseher hoch.
    Was bedeutete das? Natürlich gab es einen Hinterausgang aus dem Laden, aber der führte in die Wohnräume der Familie. Dann konnte der Mann nur ein Onkel oder Cousin oder sonst ein Verwandter sein, der vorbeischaute, was bei näherer Überlegung die vernünftigste Erklärung war. Mit einem Schulterzucken nahm er eine Dose Suppe und ein Päckchen Zigaretten, zahlte und ging wieder hinaus.
    Vor Joes Haus stieg gerade ein Mann in eine schwarze Mercedes-Stretchlimousine. Joe erhaschte noch einen Blick auf die gewienerten Schuhe, ehe sie im Inneren verschwanden. Dann wurde die Tür sacht geschlossen, die getönten Gläser erlaubten keinen Einblick, der starke deutsche Motor sprang schnurrend an, und das Auto fuhr hinaus auf die Straße. »Warten Sie!«, rief Joe und rannte auf das Auto zu, das bereits beschleunigte. Fast hätte ihn ein Motorroller gestreift, dessen junger Fahrer in Schuluniform rief: »Guck doch, wohin du läufst, Arschloch!«, bevor er davonflitzte. Joe fluchte. Das schwarze Auto vor ihm wurde immer schneller. Er rannte hinterher. Eine ältere Dame umfuhr ihn auf ihrem Fahrrad, das mit Eierpaletten beladen war. Sie sah ihn amüsiert von der Seite an.
    »Halt!« Das Auto hielt nicht an. Stattdessen fuhr das hintere rechte Seitenfenster herunter, und eine Hand erschien, einen glänzenden Gegenstand haltend. Joe, der seinen Augen nicht traute, blieb stehen. Es war eine Pistole.
    Laut hallten die Schüsse in der Straße wider. Die alte Dame riss am Lenker, ihr Fahrrad schwankte, dann fiel sie um, während das Rad auf dem heißen Asphalt wegrutschte, die Paletten sich aus ihren Befestigungsschnüren lösten und ihre Ladung frische Eier auf die Straße entließen, wo sie wegrollten und zersprangen und den Asphalt mit einer gelb-weißen Farbschicht überzogen. Als er den ersten Schuss hörte, fiel Joe vornüber auf die Straße und rollte auf den Gehsteig zu. Die Hand zog sich in den Mercedes zurück. Als das Fenster wieder hochfuhr, kam, vielleicht vom Aufwind getrieben, ein Stück Papier herausgeflattert. Das Auto raste davon und war bald um die Kurve verschwunden.
    Joe stand auf, zitternd. Er lief zu der alten Frau, die jedoch nicht verletzt war, und half ihr auf. Auch sie zitterte. Ohne mit ihm zu sprechen, betrachtete sie die zerbrochenen Eier auf dem Boden, und als sie lautlos zu weinen begann, rannen ihre Tränen über das faltige Gesicht wie Wasser durch ein Netz alter römischer Aquädukte. Joe ging zu ihrem Fahrrad und hob es auf. Wortlos, und ohne ihn anzusehen, nahm sie es ihm ab. Schaulustige waren herausgekommen. Sie standen vor den Ladenfronten und gafften, zeigten mit dem Finger auf sie und sprachen im Flüsterton miteinander. Joe fluchte und beschloss, dass es Zeit war zu verschwinden. »Hier«, sagte er, während er der Frau unbeholfen Geld hinhielt. »Für die Eier.«
    Kommentarlos nahm sie das Geld entgegen und steckte es in eine verborgene Tasche. Als sie ihr Fahrrad an den Straßenrand schob, scharte sich eine Gruppe Frauen um sie, geleitete sie in den Schatten und bot ihr Tee an. Die Frau bedachte sie mit einem schwachen, traurigen Lächeln. Joe schien niemand auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
    Gut.
    Als er sich zum Gehen wandte, flog ihm ein eingerissenes Stück Papier ins Gesicht, und mit einer sich plötzlich bahnbrechenden Wut schnappte er nach ihm und zerknüllte es mit einer heftigen Bewegung zu einem Ball.
    Sie hatten auf ihn geschossen. Warum zum Teufel hatten sie das getan? Als er loslief, fuhr gerade ein Bus vorbei und hinterließ Reifenspuren aus Eidotter auf dem Asphalt. An seinem Haus angekommen, trat er sofort ein, stieg zu seiner Wohnung hinauf und verriegelte die Tür hinter sich. Dann blieb er mit dem Rücken an der Tür stehen und holte tief Luft. Als er die Hand ans Gesicht hob, merkte
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