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Organic

Organic

Titel: Organic
Autoren: Alex Kava
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ausgelöst. Oder Dwight hatte es sich eingebildet.
    Er rückte seine Schutzbrille zurecht und sah auf seine Armbanduhr. Die Schicht war zu Ende. Aber wo zum Teufel war Ernie? Dwight hatte gehofft, ein bisschen früher loszukommen, aber nun würde er in den dicksten Verkehr geraten. Und die Männer im „Marriott Hotel“ am Flughafen würden auf ihn warten müssen. War das so schlimm? Doch eigentlich nicht. Ohne ihn konnten sie schließlich sowieso nicht anfangen. Sie brauchten seine Informationen. Nach mehreren kurzen Telefonaten war ihm klar gewesen, dass sie jedes Detail wissen wollten, das er ihnen sagen konnte. Himmel, sie sollten froh sein, dass er sich darauf eingelassen hatte.
    Es war seine Großmutter gewesen, die ihn auf den Namen des großen US-Generals Dwight Eisenhower hatte taufen lassen, aber Dwight Lansik hatte noch nicht ein einziges Mal in seinem Leben wie ein wirklicher General gehandelt. Stattdessen war er immer der bescheidene, folgsame Soldat oder Diener gewesen, der eine exzellente, heldenhafte Arbeit vollbrachte und den Ruhm dafür anderen überließ. Es war höchste Zeit, dass er sich einmal selbst kümmerte. Was machte es also schon, wenn er ein bisschen zu spät in dem Hotel aufkreuzte? Es war völlig egal. Diese Leute waren auf jede Kleinigkeit scharf, die er ihnen liefern konnte. Wie die Aasgeier würden sie sich auf alles stürzen und es zerfleischen, wofür er so hart gearbeitet hatte. Sie konnten ruhig ein bisschen warten.
    Er zwang sich zu einem Blick nach unten. In dem Zehntausend-Liter-Tank brodelte und gurgelte die suppige Pampe, die sie Rohstoff nannten, und wartete darauf, nach unten und zwischen die riesigen rasiermesserscharfen Klingen gesogen zu werden, die alles auf Erbsengröße zerkleinerten und zu einer breiigen Masse verrührten. Ganz natürlich und ohne jede technische Unterstützung stiegen faulige Gase auf. Nein, diese stinkende Brühe war nicht menschengemacht, sondern bestand aus den Abfällen der Schlachthäuser: schmierigem Gedärm, rostrotem Blut und hellorangefarbenen Lungenstücken, die zwischen verwesenden Hühnerköpfen, deren Augen zu ihm heraufstarrten, auftauchten und wieder verschwanden. Hatten Hühner eigentlich Augenlider? Lieber Himmel! Dieser Gestank. Trotz seiner Schutzbrille brannten ihm die Augen. Sieh bloß nicht nach unten, sagte er sich und kämpfte gegen den Brechreiz an.
    Wieder sah er auf seine Uhr und drehte sie an seinem schmalen Handgelenk hin und her. Die Rolex war mehr wert als sein Auto und war ein übertriebenes Geschenk des Vorstandsvorsitzenden zur Einweihung des Betriebes gewesen. Er trug sie nur, damit seine Mitarbeiter nicht vergaßen, wie wichtig er für das Unternehmen war, auch wenn er so was insgeheim als bloße Geldverschwendung ansah.
    Wo zum Teufel steckte Ernie Walker? Wie kam er überhaupt dazu, ihn hier im gleißenden Sonnenlicht und in diesen widerwärtigen Gerüchen warten zu lassen?
    Dwight lehnte sich gegen das Eisengeländer und hoffte, das Vibrieren des Steges würde endlich aufhören. Allmählich wurde es unangenehm. Sein Unterhemd klebte wie eine zweite Haut an seinem Rücken. Er schob die sorgfältig aufgerollten Ärmel seines blütenweißen Anzughemdes noch ein Stück weiter nach oben, öffnete den Kragen und lockerte mit zwei schnellen Handgriffen seine Krawatte. Inzwischen vermischten sich die gedämpften Geräusche in seinem Kopf zu einem betäubenden Hämmern. Er nahm den gelben Sicherheitshelm ab und wischte sich die Stirn ab. Er war ein wenig wackelig auf den Beinen, und ihm wurde schwindelig, sodass er den Mann nicht bemerkte, der sich ihm von hinten näherte.
    Der erste Schlag warf ihn gegen das Geländer und nahm ihm den Atem. Er krümmte sich vor Schmerz, den Bauch gegen das Metall gedrückt. Aber bevor er auch nur Luft holen konnte, spürte er, wie seine Beine langsam von unten hochgedrückt wurden.
    „Verdammt!“, brüllte er und griff nach dem Geländer.
    Er bekam es zu fassen und krallte sich fest, während sein Körper schon über dem Abgrund zu schweben schien. Seine Füße stießen gegen den Beton, aber es gab nichts, was ihnen Halt geboten hätte: kein Spalt, kein Absatz. Verzweifelt suchte Dwight mit seinen Gummisohlen die Wand ab. Dann begannen seine Hände zu schmerzen, und er fühlte, wie das Metall von seinem eigenen Schweiß rutschig wurde.
    Er versuchte aufzusehen, versuchte zu rufen, aber seine Stimme war leise und klang wie weit weg, gedämpft durch seinen Ohrenschutz, und sie verlor
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