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Organic

Organic

Titel: Organic
Autoren: Alex Kava
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dich nachts wach“, folgerte Olivia dann absolut selbstgewiss.
    Sabrina stürzte den Kaffee hinunter und stellte den Becher ab. Abwesend strich ihr Finger über ihre Hand, da, wo ihr Diamantring gesessen hatte. Sie hatte ihn nie enger machen lassen, und er war viel zu locker gewesen. Sie hatte immerzu Angst, ihn zu verlieren, weil sie andauernd Latexhandschuhe an- und auszog. Also lag der Ring jetzt sicher verwahrt in dem Kästchen in ihrer Kommode, damit er nicht in irgendeinem Abnuss verschwand.
    Wem machte sie eigentlich etwas vor? Tatsächlich hatte sie den Ring abgenommen, weil sich zu viele Hoffnungen mit ihm verbanden, die schon längst im Abnuss verschwunden waren. Ihr Umzug hatte sie in vielerlei Hinsicht mehr gekostet, als sie sich je hätte vorstellen können.
    Ihr neuer Job war dagegen eine echte Rettung. Schließlich war sie trotz allem eine leidenschaftliche Wissenschaftlerin. Sie löste für ihr Leben gern Rätsel, fand Lösungen für unlösbare Fragestellungen, fand Alternativen für alte, ausgediente Rezepte. Sie kam fast wie von selbst darauf, instinktiv und mit unbändiger Neugier. Aber es war an der Zeit, dass sie die Herausforderungen der realen Welt annahm, anstatt bequem im Stuhl darüber zu debattieren und zu theoretisieren. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie so viel Wert auf Besitzstände gelegt, dass sie ganz vergessen hatte, wie aufregend neue Entdeckungen sein konnten.
    Als sie noch ein kleines Mädchen war, wäre ihr dieser Job bei EcoEnergy wie ein Traum vorgekommen. Damals hatte ihr älterer Bruder Eric Football gespielt und Modellautos zusammengebaut, während Sabrina um das Mikroskop ihres Vaters gebettelt hatte, um irgendwelche Schmutzpartikel genauer zu untersuchen. Stunden konnte sie damit zubringen, zu lernen, wie man die Einzelteile dieser Partikel voneinander trennte, und noch ein paar Stunden mehr damit, zu beobachten, was mit ihnen passierte, wenn man ein Tröpfchen Wasser hinzugab. Als Eric sich für Mädchen zu interessieren begann, zerlegte Sabrina gerade Schwefelsäure und Chromphosphat in seine Bestandteile. Als sie eben fünfzehn geworden war, versetzte die Tatsache, dass Sabrina fast jeden Nachmittag mit Bill Snyder verbrachte, ihre Mutter in Aufregung – bis sich herausstellte, dass die beiden ein Blitzlicht konstruiert hatten, das ohne Batterien funktionierte.
    Die schärfste Anschuldigung ihrer Mutter lautete: „Du wirst genau wie dein Vater!“
    Aber ihre Mutter konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen, und Sabrina verstand den Satz mehr als Kompliment denn als Vorwurf. So war ihre Mutter nun einmal, Drama und Sarkasmus waren ihr ebenso wichtig wie ihre Pinsel und ihre Tonerde. Für Sabrina stand außer Frage, dass ihre Eltern sich liebten, sosehr sie sich auch liebevoll aufzogen und neckten. Ihre Mutter bezeichnete Arthur Galloways Erfindungen als „wertlose Apparaturen“, auch wenn ihr vor Stolz Tränen in den Augen standen, wenn er sie vorführte. Und trotzdem waren die Apparaturen ihres Vaters meist die Ursache für familiäre Auseinandersetzungen, jedenfalls nach der Ansicht ihrer Mutter, weil sie für Sorgen und Nöte verantwortlich waren. Aber ihr Vater nahm ihrer Mutter das nie übel, sondern gab ihr stattdessen einen demonstrativen Kuss auf die Wange und betonte, er „liebe sie einfach wahnsinnig, wahnsinnig“.
    Sabrina konnte sich dagegen weder an Sorgen noch an Nöte erinnern. Sie hatte keine Erinnerung an Engpässe oder Ähnliches in ihrer Familie. Der Lehrstuhl ihres Vaters an der Universität sorgte jederzeit für mehr als genug für sie. Erst nach dem Tod ihrer Mutter wurde Sabrina klar, was ihre Mutter in den Auseinandersetzungen eigentlich gemeint hatte: dass Arthur Galloway längst ein weltberühmter Erfinder hätte sein können, wenn er keine Familie gehabt hätte, für die er sorgen musste; dass er so viel mehr geopfert hatte, als seine Familie ihm je zurückgeben konnte; dass sie nur sichergehen wollte, dass sie ihn darum niemals gebeten hatte – als wollte sie ihm einen Grund geben oder vielleicht eine zweite Chance, seine Meinung zu ändern. Es waren die Selbstvorwürfe einer Frau, die sich als nicht wertvoll genug empfand für dieses Glück. Tatsächlich aber waren Meredith und Arthur Galloway zutiefst verliebt ineinander. Und am Ende waren es nicht die Launen ihrer Mutter, die Arthur Galloway verrückt machten und einen Keil zwischen ihre Kinder trieben. Vielmehr war es die Abwesenheit ihrer Launen, die Abwesenheit ihrer
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