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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Autoren: Andreas Gößling
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vorstellen, wie anstrengend es für einen alten Menschen ist, wochen- und monatelang mehr oder weniger unaufhörlich zu schildern, was in nie versiegendem Strom an Gesichten und Geschichten auf einen niedergeht. So nämlich ist es mir ergangen, seit ich in jener Heidenhöhle Zuflucht gefunden hatte. Und aus diesem Grund«, wandte er sich mit einem reuigen Lächeln wieder an Amos, »konnte ich dir auch kein Lebenszeichen senden, so gerne ich dich beruhigt und getröstet und dir beigestanden hätte. Ich war ganz und gar im Bann jener Gesichte, die unaufhörlich auf mich einströmten – ähnlich dem magischen Fieber, von dem man beim Lesen des
Buchs der Geister
befallen wird, nur dass dieses Schreibfieber noch viel stärker war und mich vor allem viel länger in seinem Bann hielt.«
    »Aber was waren das für Gesichte und Geschichten?«, fragte Amos.
    Der alte Mann hob seine Schultern, die dünn und spitz wie die Flügel eines alten Vogels waren. Auf einmal sah er geradezu ein wenig verlegen aus. »Warum geht ihr beiden nicht rasch zu der Höhle hinauf?«, sagte er und schaute erst Amos, dann Klara an. »Dort werdet ihr zwei Packen mit beschriebenen Blättern finden – gegen die Feuchtigkeit dick mit Schilf und Farn umwickelt, wie du, Amos, es beim
Buch der Geister
so vortrefflich vorgemacht hast.«
    »Ihr meint – damals im Felslabyrinth bei Wunsiedel? Aber woher wisst Ihr davon, Herr?« Amos verstand jetzt gar nichts mehr.
    »Ich habe alles so niedergeschrieben, wie es mir zugeströmt ist«, sagte Kronus, »aber ob es sich wirklich so zugetragen hat, weiß ich viel weniger als ihr.«
    Amos und Klara schauten einander an. Entweder Kronus’ Geist hatte sich während der einsamen Wochen in seiner Höhle verwirrt – oder …
    Sie liefen los. Den steilen Pfad neben dem Gründleinsbach hinauf, dann im Laufschritt durchs Tannenholz, den murmelnden Bach zu ihrer Linken. Nach kaum einer halben Stunde gelangten sie zu der bemoosten Bergwand mit dem waagrechten Spalt darin, aus dem der Bach entsprang. Atemlos hielten sie ihre Hände unter den klaren Strahl und tranken ein paar Schlucke Wasser, wie Amos es immer gemacht hatte, wenn er hier vorbeigekommen war, auf dem Weg zu Kronus oder auf dem Rückweg zur Burg.
    Der Spalt, aus dem sich der Quell ergoss, ähnelte wirklich einem lächelnden Mund. Und er sah dem viel größeren Spalt über dem »sehenden See« so ähnlich, als ob beides Kunstwerke wären, von ein und demselben Steinmetz angefertigt.
    Sie kletterten zu dem Spalt hinauf und schlängelten sich links am Quellstrahl vorbei in den Berg, wie Kronus es ihnen beschrieben hatte. Drinnen war es dämmrig, feucht und kühl. Der Gang, der sich tiefer in den Fels wand, war so niedrig und schmal, dass sie die Köpfe einziehen mussten und Amos mit den Schultern links und rechts anstieß. Doch schon nach gut zwanzig Schritten weitete sich der Gang zu einer geräumigen Höhle, wie Kronus es angekündigt hatte.
    Sonnenlicht drang in vielerlei fingerdünnen Strahlen herein, und in diesem Wirrwarr aus zitternden Lichtfingern lagen tatsächlich zwei dicke rechteckige Packen inmitten der Höhle, vielfach eingewickelt in Farn und Schilf. Weiter hinten in dem Felsgelass gab es noch eine Lagerstatt, einen Schemel und sogar einen kleinen Tisch, auf dem sich allerlei Behältnisse stapelten. Aber Amos und Klara hatten keinen rechten Blick dafür – in denzurückliegenden Wochen hatten sie für ihr ganzes restliches Leben mehr als genug Höhlen und sonstige unterirdische Behausungen gesehen. So nahmen sie nur jeder einen grün umhüllten Papierpacken an sich und machten, dass sie wieder ins helle Tageslicht kamen.
    So rasch sie konnten, liefen sie zurück zum einstigen Mühlhof, und dort fanden sie Kronus in lebhaftem Gespräch mit Hebedank. Als er Klara und Amos bemerkte, kam der alte Mann lächelnd auf sie zu. »Natürlich werde ich gleich noch gründlich überprüfen«, sagte er, »ob ihr
Das Buch der Geister
auch ganz und gar wortgetreu wiedererschaffen habt. Aber anders als der gute Hebedank mache ich mir deswegen keine allzu großen Sorgen.« Er deutete auf die Packen, die Amos und Klara herbeigeholt hatten. »Vorher tut mir doch bitte den Gefallen und wickelt diese beiden Manuskripte aus.«
    Darum ließen sich Amos und Klara kein zweites Mal bitten. Unter Farn und Schilf kamen zwei nahezu gleich dicke Papierstapel zum Vorschein und beide waren vom ersten bis zum letzten Blatt mit Kronus’ klarer Handschrift bedeckt.
    Das eine
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