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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Autoren: Andreas Gößling
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elf Jahre vorverlegt.
Magie und Maschinenzauber
    Der Aufmerksamkeit meiner Leser wird nicht entgangen sein, dass die Mitglieder des Opus Spiritus zwar von alter Magie fasziniert sind, im Zweifel jedoch lieber auf mechanische Wunderwerke vertrauen. So verfügt Kronus in seinem Mühlhof über einen geheimen Fluchtweg mit Ketten- und Federmechanismus, und im Kloster Sponheim kann Trithemius nur deshalb dem Inquisitor entkommen, weil er dort vorausschauend eine ähnliche Vorrichtung installiert hat. Auch das höllische Geheule, mit dem er seine Verfolger erschreckt, hat er nicht etwa durch Dämonenbeschwörung, sondern durch chemische Explosionen hervorgerufen. Die »falschen Nonnen« mit Mutter Maria an ihrer Spitze schütteln die Bücherjäger durch ein ausgeklügeltes Täuschungsmanöver ab, das gleichfalls auf technischer Raffinesse statt auf Zauberkunst beruht: Die Kutsche, die vor Skythis’ und JohannesMergelins Augen in den Main stürzt, wird von lebensgroßen Holzpferden mit mechanischem Antrieb gezogen. Und selbst der Zugang zum magischen Heidentempel unter der Würzburger Einsiedelei wird durch einen kunstvollen Mechanismus geöffnet und versperrt.
    Daraus lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres folgern, dass Trithemius, Kronus und die anderen Logenmitglieder den magischen weniger als den mechanischen Kräften über den Weg trauten. Vielmehr wurde in jener Zeit zwischen Zauber- und Ingenieurskunst keineswegs so scharf unterschieden, wie uns das heute selbstverständlich scheint. Wer technisch Herausragendes zustande brachte wie beispielsweise die Dombaumeister in Köln, Nürnberg oder Würzburg, von dem glaubten wohl die meisten Zeitgenossen, dass er mit übernatürlichen Mächten – ob nun teuflischen oder himmlischen – im Bunde sein müsse. In meinem Roman bekommt Amos diesen Argwohn zu spüren, als er im Gewand des Maurerlehrlings nach Nürnberg reist. Die unheimliche Aura, die jahrhundertelang die »Freimaurerei« umgeben hat, geht auf diese »typisch mittelalterliche« Unterstellung zurück, dass technische Wunderwerke nur deshalb gelingen konnten, weil Geister dieser oder jener Herkunft dem Baumeister dienstbar waren.
    Das galt erst recht für die wahrhaft revolutionäre Maschine, die Johannes Gutenberg (1400–1468) Ende des 15. Jahrhunderts konstruiert hat: Die mechanische Druckerpresse mit beweglichen Metalllettern war nicht nur in den Augen von Zensoren und vatikanischen Glaubenswächtern, sondern wohl auch für eine Vielzahl von Zeitgenossen ein höchst verdächtiges Zauberwerk. Wie konnte es auch mit rechten Dingen zugehen, wenn sich Bücher plötzlich binnen weniger Tage hundertfach vervielfältigen ließen – während bis dahin selbst ein erfahrener Schreiber Monate oder sogar Jahre gebraucht hatte, um auch nur eine einzige handschriftliche Kopie herzustellen? Ohne den Beistand übermenschlicher Mächte war so etwas kaum vorstellbar.
    Dass es sich bei der Druckerpresse des »Schwarzkünstlers« Gutenberg tatsächlich um eine magische Maschine handelt, kann man im Übrigen heute wie damals an der Wirkung ablesen, die die so wundersam hervorgebrachten Bücher in den Köpfen und Herzen ihrer Leser vollbringen: Sie entflammen unsere Einbildungskraft, erwecken in uns die Gabe, uns in andere Personen, an beliebig weit entfernte Orte und in längst versunkene Zeitalter zu versetzen. Als Leser können wir alle seither selbst zum »Hermes Trismegistos« werden – zum dreifach größten Magier im Zauberland der erzählerischen Fantasie.
      
    Coburg, im Mai 2010
    Andreas Gößling
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