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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod
Autoren: Hanna Winter
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Keuchend vor Schmerz fasste er sich an den Kopf. Dann richtete er sich benommen auf, krabbelte auf allen vieren und versuchte aufzustehen. Doch als er seinen Kopf anheben wollte, trat ihn der Russe zurück auf den Boden. Wieder und wieder trafen ihn die Stiefel im Gesicht. Belling hörte, dass seine Kieferknochen krachten, während er noch versuchte, sich mit den Händen zu schützen. Doch der Schmerz war so brutal, dass er nichts weiter tun konnte, als einfach nur dazuliegen. Als der Russe endlich von ihm abließ, hob er blinzelnd die geschwollenen Lider. Er spuckte einen Zahn aus und erschrak, als er das viele Blut auf dem Estrich sah. Sein Blut. Verzweifelt winselte Belling um Gnade. Oleg Semak kam herablassend grinsend auf ihn zu. Er fuhr mit der Hand unter Belling blutverschmiertes Kinn und hob seinen Kopf an, bis Belling ihm in die Augen sah. »Aber wir haben doch gerade erst angefangen.«
    Wulf Belling spürte, wie ihm schwindelig wurde, als Semak von ihm abließ, und er sah, dass er die Brechstange vom Boden aufhob.
    In diesem Moment wünschte sich Wulf Belling, er wäre bereits tot.

73
    Lena spürte, wie er mit der Klinge leichten Druck auf ihre zarte Haut unterhalb des rechten Auges ausübte. Ein stechender Schmerz ging mit dem Blut einher, das ihr wie eine dicke Raupe über den Wangenknochen kroch. Lena hatte sich bereits damit abgefunden, in diesem Keller zu sterben, da horchte sie plötzlich auf. Stimmengewirr drang durch die unterirdischen Gemäuer. Das Gebell von Hunden wurde laut. Lena riss die Augen auf. Polizeihunde. Jetzt hatte es auch Artifex gehört. Er hielt mitten in der Bewegung inne und sah entgeistert auf. »Nein, das ist unmöglich!« Er legte das Skalpell auf das Tablett mit den chirurgischen Instrumenten und rannte zur massiven Metalltür. Legte ein Ohr an die glatte Stahloberfläche, wie um sich zu vergewissern, dass er sich die Geräusche nicht bloß eingebildet hatte. Doch spätestens als das Martinshorn ertönte, sah Lena ihm an, dass auch er begriffen hatte.
    Sie hatten sie gefunden.
    Allmählich schöpfte auch sie Hoffnung, doch noch mit dem Leben davonzukommen. Artifex warf ihr einen seltsamen Blick zu, aber nichts in seiner Miene verriet, was in ihm vorging. Dann richtete er den Blick auf die Kreatur neben der Tür. Er strich mit der Hand behutsam über das Tuch und sagte: »Keine Sorge, Tilla, die Tür ist aus dickem Stahl. Wir sind hier so sicher wie im Fort Knox. Nichts und niemand wird mich daran hindern, mein Meisterwerk zu vollenden.«
    »Hier spricht die Polizei! Öffnen Sie unverzüglich die Tür und verlassen Sie mit erhobenen Händen den Raum!«, drang im nächsten Moment eine Megaphon-Stimme gedämpft durch die Tür.
    Lena erkannte die Stimme von Volker Drescher.
    »Öffnen Sie die Tür! Dies ist die letzte Aufforderung!«
    Plötzlich wurden die dumpfen Schläge eines Rammbocks laut und das Kratzen einer Brechstange, die Halt in der Stahlzarge suchte. Die Einsatzkräfte versuchen, den Raum zu stürmen. Doch Lenas Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Als sie sah, dass die Tür den Versuchen ungerührt standhielt, fiel schlagartig alle Hoffnung von ihr ab.

74
    Lena kam sich vor, als sei sie in einem riesigen Tresor eingesperrt. Nur mit dem Unterschied, dass sie hier unten keine Goldbarren, sondern den Tod finden sollte. Artifex drehte den Operngesang bis zum Anschlag auf und kam erneut auf sie zu. Seelenruhig nahm er das Skalpell vom Tablett. Schweißperlen rannen an Lenas Schläfen hinab, als er wieder dicht über ihr erschien und sie voller Vorfreude angrinste. Ein letzter Blick zu der vermummten Gestalt, dann setzte er das Skalpell erneut dort an, wo er aufgehört hatte. Lena zwang sich, ihn nicht anzusehen, und für einen Moment wusste sie nicht, was schlimmer war: die Hilflosigkeit, mit der sie ihm ausgeliefert war, oder aber das, was ihr nun unausweichlich bevorstand. Hätte sie gekonnt, hätte sie um ihr Leben geschrien. Urplötzlich detonierte eine gewaltige Sprengladung. Mit einem ohrenbetäubenden Knall flog die schwere Tür aus den Angeln und flog meterweit in den Raum hinein. Die Wucht der Explosion war so groß, dass die Gestalt neben der Tür in tausend kleine Teile zerfetzt wurde. Ein Schwall dichten Rauchs verschleierte den Raum. Ein gleichmäßiger Fiepton summte in Lenas Ohr, und sie sah vage, wie Artifex, der von dem Druck der Detonation gegen die Wand geschleudert worden war, vor Entsetzen über sein zerstörtes Kunstwerk geradezu tobte.
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