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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod
Autoren: Hanna Winter
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Woolworth auf der gegenüberliegenden Straßenseite gerannt kam und jetzt eilends in die Fußgängerzone einbog. Sie trug einen kurzen Jeansrock und einen Blouson und hatte die hellbraunen Haare zu einem zerzausten Dutt zusammengezwirbelt. Ihr Gesicht war hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen, doch Belling war sich fast sicher, dass es Tamara war. Aber wie war das möglich?

68
    Wulf Belling traute seinen Augen kaum. Da rannte die Frau plötzlich los.
    »Hey, Moment … Warten Sie!«, brüllte er, lief über die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten, und eilte ihr durch die belebte Fußgängerzone nach. Die Frau beschleunigte das Tempo, und Belling hatte Mühe hinterherzukommen. Seit er wieder mit dem Rauchen angefangen hatte, machte ihm seine Lunge immer öfter zu schaffen. Heftig keuchend rannte er im Slalom durch die Menge, vorbei an Müttern mit Kinderwagen, herumlungernden Teenagern und mit Einkaufstüten durch die Gegend schlendernden Menschen.
    »Hey, Fettsack, kannst du nicht aufpassen!«, brüllte ein Mann, der, von ihm angerempelt, seine Currywurst hatte fallen lassen. Als Belling nur noch eine Armlänge von der Frau entfernt war, packte er sie am Blouson und hielt sie fest. Die Frau wand sich unter seinem Griff und versuchte sich loszureißen. Belling zerrte sie zurück, und eine Vielzahl von mit Preisschildern versehenen Armbändern und Ohrringen fiel klimpernd auf das Kopfsteinpflaster.
    »Ey, Mann, was soll der Scheiß? Spielen Sie sich jetzt etwa auch noch als Ladendetektiv auf?«
    Belling starrte ihr ins Gesicht. Obwohl er wütend auf sie war, hätte er sich niemals träumen lassen, sich jemals so sehr zu freuen, Tamara wiederzusehen.
    »Ich dachte, Sie wären längst …«, setzte er gleichermaßen erleichtert wie fassungslos an.
    Sie schob die Sonnenbrille hoch. »Ich wär was?«, fragte sie und sah ihn herausfordernd an.
    Er blickte sich um. »Wo ist Marcel?«
    »Bei ’ner Freundin, was dagegen?«
    Er verzog das Gesicht. »Soweit ich weiß, kennen Sie in der Stadt doch überhaupt niemanden!«
    »Wer sagt das? Sie etwa?« Sie spuckte ihren Kaugummi aus. »Ich will Ihnen mal was sagen: Im Gegensatz zu meiner Schwester habe ich überall Freunde! Und außerdem geht Sie das gar nichts an.« Schnaubend sammelte sie den gestohlenen Schmuck auf. Bellings fassungsloser Blick ruhte noch immer auf ihr. Tamara schien nicht zu wissen, was in der Zwischenzeit geschehen war. Und allmählich dämmerte Belling, wie es dazu kommen konnte, dass der Killer bereits eine Lösegeldforderung gestellt hatte, obwohl er Lena Peters noch in ihrer Wohnung aufgelauert hatte: Der Anrufer und Artifex waren zwei verschiedene Personen. Da er sich am Telefon aber als Artifex ausgegeben hatte, dem Namen des Killers, der niemals in der Presse aufgetaucht war, waren sie zwangsläufig davon ausgegangen, es müsse sich auch tatsächlich um den berüchtigten Stümmler handeln. Wer auch immer der Anrufer war – er hatte von Anfang an geblufft. Zumindest würde das einen Teil seiner Fragen beantworten. Doch wenn der Anrufer nicht der gesuchte Serienmörder war, wer war es dann? Ganz gleich, wie sehr er sich auch den Kopf zerbrach, Wulf Belling hatte nicht die geringste Ahnung.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Er klaubte ein Paar Ohrringe auf und reichte sie ihr.
    Verwirrt blickte Tamara auf und schüttelte den Kopf. »Ich werd einfach nicht schlau aus Ihnen. Erst rennen Sie mir wegen der paar Klunker hier durch die halbe Einkaufsstraße hinterher, und dann wollen Sie nicht mal, dass ich die Dinger zurückgebe?«
    Belling sah sie mitleidig an. Sie hatte wirklich nicht die geringste Ahnung. Er antwortete nicht sofort und spürte, wie er einen gewaltigen Kloß im Hals bekam. Er würde es ihr sagen müssen.

69
In Berlin-Spandau
    Lena hatte das Gefühl, hinter dem Klebeband über ihrem Mund zu ersticken. Sie lag auf einem OP -Tisch, war an Armen und Beinen festgeschnallt. Sie trug nichts außer einem Kittel. Lena blinzelte gegen die grellen auf sie gerichteten Lichter an, während ihre Augen nach einem Ausweg suchten. Und nur mit Müh und Not gelang es ihr, den Kopf minimal anzuheben. Der Raum um sie herum war seltsam verschwommen. Alles drehte sich. Neben einer massiven Stahltür, die weniger als zwei Meter von ihr entfernt war, erkannte sie die Umrisse einer reglos dasitzenden Gestalt, über die ein Tuch gestülpt worden war. Der Statur nach war es eine Frau, und auf ihrem Schoß lag eine Porzellanpuppe in einem roten
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