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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod
Autoren: Hanna Winter
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Abschlüsse in Psychologie und Kriminologie, sondern vor allem Ihre exzellenten Studien zur Erstellung von Täterprofilen.«
    »Danke.« Lena brachte ein Lächeln über die Lippen, das sich rasch verflüchtigte. »Aber trotzdem hätten Sie bei einer Profilerin eher eine Eins-achtzig-Frau mit Boxerrücken erwartet«, sagte sie und warf einen Blick auf seine lädierte Nase.
    »… das haben Sie jetzt gesagt.« Drescher räusperte sich und schob seine Brille mit dem Mittelfinger hoch.
    Lena nahm ihren Whisky vom Couchtisch, zwang sich aber, das Glas nicht in einem Zug zu leeren. »Sie selbst haben in einer Fachzeitschrift erklärt, gute Leute seien rar, und das man einem Teammitglied die Kompetenz ebenso wenig an der Nasenspitze ansieht wie einem Verbrecher die kriminelle Energie«, konterte sie und ärgerte sich sogleich, dass sie sich von ihm aus der Reserve hatte locken lassen. Das Pochen in Lenas Schläfen wurde schlagartig stärker, als sie spürte, wie ein Schwall Wut sie überkam. Mehr zu ihrer eigenen Beruhigung strich sie über das weiche Fell ihres Katers, der soeben auf die Couch gesprungen war und es sich neben ihr bequem gemacht hatte. Drescher knackte mit den Fingern und sah von seinem Glas auf, ohne den Kopf anzuheben. »Das hier ist immerhin Berlin – und nicht Fischbach oder wie das Kaff heißt, wo Sie aufgewachsen sind.«
    Überaus scharfsinnig. »Wenn ich Sie daran erinnern darf, waren die Rotlichtmorde, die toten Hafenkinder oder die Giftmischer auch nicht in Fischbach.«
    »Aber das hier ist ein vollkommen anderes Pflaster«, sagte er mit einem vehementen Kopfschütteln.
    Lena hielt seinem stechenden Blick stand und überlegte, wie sie ihn davon überzeugen konnte, dass sie die Richtige für den Fall war. Aber musste sie das überhaupt? Schließlich war er es gewesen, der sie für den Fall angefragt hatte und nicht andersherum. Lena spülte ihren Ärger darüber, dass er ihre Kompetenz bereits anzuzweifeln schien, bevor sie mit ihrer Arbeit überhaupt richtig losgelegt hatte, mit einem ordentlichen Schluck Whisky hinunter, als ihr im nächsten Moment unverhofft ein Lächeln auf den Lippen lag.
    Er will mich auf die Probe stellen? Na schön, das kann er haben. Sie schwenkte das Glas in ihrer Hand und wartete, bis sie seine ganze Aufmerksamkeit hatte. Dann schloss Lena die Augen und sagte: »Sie tragen ein hellblaues Ralph-Lauren-Hemd aus Baumwolle mit Manschettenärmeln. Es hat sechs Knöpfe, den fehlenden in der Mitte nicht mitgerechnet. In ihrer rechten Brusttasche befindet sich ein anthrazitfarbener Lamy-Kugelschreiber, auf dem ihr Name eingraviert ist. Er ist am oberen Rand leicht angekaut, womöglich weil sie unter Druck stehen«, erzählte sie und hielt die Augen weiter geschlossen. »Sie sind nicht verheiratet, denn sie tragen seit längerer Zeit keinen Ehering; die leichte Einbuchtung fehlt, die über die Jahre entstanden wäre. Ihre HUGO - BOSS -Brille hat vorne links einen kleinen Kratzer am Metallbügel, vielleicht, weil sie ihnen schon einmal heruntergefallen ist. Sie benutzen Vetiver von Guerlain. Allerdings haben Sie es sich heute Morgen nur hinter ein Ohr gespritzt, wahrscheinlich waren Sie in Eile.« Lena hielt die Augen weiterhin geschlossen.« Sie legen Wert auf Pünktlichkeit und sind es auch selbst, denn ihre Uhr«, sagte sie und tippte sich aufs Handgelenk, »die geht zwei Minuten vor. Sie tragen klassische Lederschuhe, deren Absatz gut vier Zentimeter beträgt, was darauf schließen lässt, dass …« – »Okay, okay, es reicht, Peters«, unterbrach er Lena. »Sie haben gewonnen.«
    Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie seinen erstaunten Blick.
    Drescher schob mürrisch den Unterkiefer zur Seite und sagte: »Ich wollte Sie bloß gewarnt haben, das ist alles.«
    Sie unterdrückte ein Grinsen, und für einen Moment tat sich ein beklemmendes Schweigen wie ein tiefer Abgrund zwischen ihnen auf.
    »Ich dachte, Sie leben alleine«, wechselte Drescher abrupt das Thema, die Augen auf das Schachspiel gerichtet, das auf einer schlichten, weiß lackierten Kommode aufgebaut war. »Gegen wen spielen Sie dann?«
    Lena rang sich ein Lächeln ab. Sie sprach ungern über sich selbst. Zudem hatte sie nicht die geringste Lust, sich von Drescher über ihr Privatleben ausfragen zu lassen, und tat seine Frage mit einem Achselzucken ab.
    Der Abgrund wurde tiefer.
    Sie sah Drescher an, dass er sich einen Kommentar verkniff. Kurz darauf zog er ein Foto aus der Brusttasche seines Hemdes und legte
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