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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod
Autoren: Hanna Winter
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Neugierde empfangen zu werden. Auch dieses Mal spürte sie schon jetzt die Blicke der neuen Kollegen im Nacken, die jeden ihrer Schritte genauestens verfolgen und ihre Vorgehensweise kritisch beäugen würden. Doch sie hatte sich ein dickes Fell zugelegt und genügend Vertrauen in ihr eigenes Können, dass ihr das nichts anhaben konnte. Zumindest redete sie sich das ein.
    »Geben Sie mir fünf Minuten, ich dusche nur rasch und bin gleich wieder da.« Sie reichte Volker Drescher ein Pflaster und bat ihn, im Wohnzimmer zu warten.
    Drescher hielt drei Finger in die Höhe. »Drei Minuten«, drang es unter dem Waschlappen hervor, ehe er diesen gegen das Pflaster eintauschte. »Und wenn Ihr Angebot noch steht, würde ich jetzt auf den Whisky zurückkommen.«
    Lena blieb lächelnd in der Tür stehen. »Bedienen Sie sich, die Flasche steht auf dem Küchentisch – ein Glas müsste auch irgendwo herumstehen.«
    Mit diesen Worten schloss sie die Tür zum Badezimmer hinter sich, während Drescher schon Richtung Küche verschwand.
    Momente später stellte Drescher zwei großzügig gefüllte Whiskygläser auf den Couchtisch im Wohnzimmer und setzte sich auf das helle Sofa. Wie er beim Hinsetzen bemerkte, war es noch immer mit knirschender Schutzfolie überzogen. Während das Prasseln der Dusche aus dem Badezimmer drang, sah er ungeduldig auf seine Uhr. Schließlich nahm er sein Glas und schaute sich ein wenig um. Karge Wände, nackte Glühbirnen, weitere Umzugskartons. Im Vorbeigehen spähte er in die offenstehenden Zimmer. Ein Futon-Bett, ein überdimensionaler Schreibtisch mit einem Laptop darauf. Im Regal dicke Wälzer über Sexualverbrechen, fallanalytische Verfahrensweisen und historische Kriminalfälle. Ein gönnerhaftes Grinsen kroch über seine Lippen, als er darunter auch sein neustes Buch entdeckte. Mal sehen, was diese Profilerin draufhat …
    Lena hielt die Augen geschlossen und genoss die warme Dusche, während sie spürte, wie das Wasser ihren Nacken entspannte. Schon wieder ein neues Opfer , ging es ihr durch den Kopf. Die Abstände, in denen der Killer zuschlägt, werden immer kürzer , überlegte sie und stellte das Wasser ab.
    Zuerst gab es alle paar Wochen ein neues Opfer, dann wöchentlich, und nun vergehen kaum mehr als drei Tage, in denen er nicht zuschlägt. Mit dem heutigen Opfer sind es bereits zwölf grausam verstümmelte Frauen , überlegte sie, während sie aus der Dusche stieg und sich rasch abtrocknete. Was will er uns damit sagen? Sie zog ihren Slip und ein frisches T-Shirt über und schlüpfte in ihre Jeans. Geht es darum, der Polizei seine Macht zu demonstrieren? Oder ist er inzwischen einfach übermütig und vollkommen größenwahnsinnig geworden? Lena betrachtete einen Moment lang die ratlos dreinblickende Frau im Spiegel und kämmte sich schnell die nassen Haare zurück. Sie nahm ihr Handy, das sie am Waschbeckenrand abgelegt hatte, und wollte gerade zurück ins Wohnzimmer gehen, da hielt sie nach einem Blick auf das Display plötzlich inne. Irritiert sah Lena auf, ehe sie mit dem Mobiltelefon in ihrer Hand barfuß zu Drescher ins Wohnzimmer lief.
    »Sie sagten, Sie hätten versucht, mich zu erreichen«, meinte sie beim Betreten des Raums. »Das ist seltsam, ich habe gar keine Nachricht darüber erhalten.«
    »War nur ein Test«, gab Drescher mit unbewegter Miene zu. »Ich wollte sehen, wie Sie reagieren.«
    Ein Test? Lena fragte sich, was als Nächstes kommen würde.
    »Wie soll ich sagen …« Er räusperte sich. »Wir haben es hier mit einem Fall zu tun, dessen Ausmaß an Brutalität es so bislang nicht gegeben hat. Und außergewöhnliche Fälle erfordern nun einmal außergewöhnliche Maßnahmen und außergewöhnliche Qualifikationen, wenn Sie verstehen …«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Lena skeptisch und ließ sich ihm gegenüber in den Ledersessel sinken.
    »… es gibt Leute, die meinen, diese Mordserie sei möglicherweise eine Nummer zu groß für Sie.«
    Lena spürte ein Pochen in ihren Schläfen. »Aber Sie scheinen anderer Meinung zu sein, sonst hätten Sie mich wohl kaum engagiert.« Beiläufig registrierte sie, wie die Augen ihres Vorgesetzten von ihren nackten Füßen zu ihrem flachen Dekolleté und ihren hageren Schultern schweiften – dezent zwar, doch der Blick war ihr nicht entgangen. Dann senkte er den Blick auf das Whiskyglas und befühlte seine bepflasterte Nase. »Sie haben erstklassige Referenzen, Peters. Und damit meine ich nicht nur Ihre hervorragenden
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