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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod
Autoren: Hanna Winter
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es auf den Couchtisch. Von dem Abzug schaute Lena eine junge Frau mit einnehmendem Lächeln an. Sie trug ein kurzes Kleid, und ihre Füße steckten in hohen Riemchensandalen. Ganz offensichtlich befand sie sich zum Zeitpunkt, als das Foto aufgenommen wurde, auf einer Party und sah aus, als hätte sie Spaß.
    »Das Opfer?«, fragte Lena.
    Drescher holte tief Luft. »Ihr Name ist Yvonne Nowak, zwanzig Jahre« – er biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf –, »fast noch ein Kind.«
    »Wo wurde sie gefunden?«
    »Noch gar nicht«, erklärte er und zog die Stirn in Falten. »Sie studiert Mathematik an der Humboldt-Universität und ist nach der gestrigen Vorlesung spurlos verschwunden.«
    Lena schluckte, wollte aber vorerst optimistisch bleiben. »Das muss noch nichts heißen … – sie könnte spontan verreist oder sonst wo sein.«
    Drescher schüttelte erneut den Kopf und trank seinen Whisky aus. »Mein Gefühl sagt mir, dass die Kleine etwas mit dem Fall zu tun hat. Außerdem sollte sie gestern ihren nagelneuen Wagen abholen, den ihre Eltern zum Studium haben springen lassen. Einen roten Beetle mit allem Pipapo … Sie hat ihn sich selbst ausgesucht und sich nach Angaben ihrer Mitbewohnerin schon seit Wochen drauf gefreut. Ich meine, so was vergisst man doch nicht einfach, oder?«
    »Nein, wahrscheinlich nicht …«
    »Frau Nowak wohnt in einer WG in Kreuzberg – unweit der Haustür hatte Augenzeugen zufolge mehrmals derselbe fensterlose schwarze Lieferwagen geparkt. Genau so einer wurde auch vor dem Verschwinden der anderen Opfer in deren Nähe gesichtet.«
    Irritiert stellte Lena ihr Glas ab. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
    »Herrgott, es vergeht kein Tag, an dem dieser verfluchte Fall nicht die Schlagzeilen dominiert – wir treten bei den Ermittlungen schon viel zu lange auf der Stelle und können uns kein weiteres Opfer erlauben. Die Presse und der Polizeipräsident machen ordentlich Druck.«
    Lena presste die Lippen zusammen. »Trotzdem müssen wir bei Yvonne Nowak deshalb nicht zwangsläufig mit dem Schlimmsten rechnen.«
    »Nein, müssen wir nicht«, sagte Drescher.
    Doch Lena meinte ihm anzusehen, dass da noch etwas anderes war. Eine entscheidende Information, die Drescher zurückhielt.

2
Montagmorgen, 9. Mai
    Nur wenige Stunden nachdem sie ins Bett gefallen war, riss Lena das Klingeln ihres Handys aus einem unruhigen Schlaf. Mit halbgeschlossenen Lidern tastete sie auf ihrem Nachttisch nach dem Telefon.
    »Ja, Peters hier …« Langsam richtete sie sich auf und rieb sich die müden Augen.
    Es war Volker Drescher. »Verdammt, wo bleiben Sie denn? Es hat ein weiteres Opfer gegeben. Und der Mord geht zweifellos auf das Konto dieser Bestie.«
    Abrupt fuhr Lena hoch. Ein hämmernder Schmerz pochte in ihren Schläfen, der sich nach einem Blick zum Wecker auf dem Nachttisch noch verstärkte. Es war nach acht – die Konferenz hatte bereits angefangen! Lena verscheuchte Napoleon, der auf der Decke eingerollt lag, und sprang aus dem Bett.
    »Ich bin auf dem Weg!«, rief sie ins Telefon. Kaum hatte sie aufgelegt, griff sie sich an den Kopf. Au, Shit! Sie hatte noch nie verschlafen – wie hatte das bloß passieren können? Fluchend zog sie ihr weites Schlaf-T-Shirt aus, griff ihren BH und hüpfte mit einem Bein in ihrer Jeans Richtung Kleiderschrank, während sie krampfhaft versuchte, den gestrigen Abend zu rekonstruieren. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, mit Drescher bis in die späten Abendstunden über den Fall diskutiert zu haben. Und dann? Lena hielt kurz inne. Nachdem Drescher gegangen war, hatte sie sich noch einen weiteren Whisky genehmigt und war schließlich todmüde ins Bett gefallen. Lena massierte sich die Schläfen. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre ein ganzer Vogelschwarm darin eingesperrt. Was war bloß los mit ihr? Das einzige Mal, dass sie so betrunken gewesen war, dass sie sich an nichts mehr erinnern konnte, war als Teenager am Abend ihres Abschlussballs gewesen. Doch das lag Ewigkeiten zurück, und es war absolut nicht ihre Art, die Kontrolle zu verlieren. Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch stülpte sie sich eine dunkle Bluse über und knöpfte sie bis oben hin zu. Dann eilte sie ins Badezimmer, spritzte sich Wasser ins Gesicht und band ihre schulterlangen hellbraunen Haare zu einem Zopf. Das Make-up beschränkte sich an diesem Morgen auf den roten Lippenstift, von dem sie fand, dass er sie älter wirken ließ und ihr etwas Strenges verlieh. Im
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