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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod
Autoren: Hanna Winter
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Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester Tamara war Lena eher der sportlich-burschikose Typ, entschied sich jetzt aber für ihre Absatzschuhe, die sie gut fünf Zentimeter größer machten. Ein dezenter Spritzer Parfum, dann hetzte sie in die Küche, stellte Napoleon das Katzenfutter hin. Im Flur griff sie ihre Tasche und ihren Trenchcoat von der Garderobe und lief hastig zur Tür hinaus. Lena setzte ihren Helm auf, schwang sich auf ihre nachtblaue Vespa und gab Gas. Mist! Musste denn ausgerechnet an ihrem ersten Tag alles schiefgehen!

3
    Knapp zwanzig Minuten später eilte Lena mit klackernden Absätzen über den Flur der Mordkommission auf den Besprechungsraum zu. Der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee drang ihr in die Nase, doch für ihre allmorgendliche Dosis Koffein, ohne die Lena normalerweise keinen Arbeitstag begann, blieb jetzt keine Zeit. Die Hand auf der Klinke, hielt Lena kurz inne und atmete einmal tief durch, bevor sie die Tür öffnete. Rücken gerade, Brust raus.
    »Ab sofort werden keine Informationen mehr an die Presse weitergegeben – und wenn ich keine sage, dann meine ich das auch so! Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt«, hörte sie Volker Drescher noch sagen, ehe er sie erblickte. »Frau Peters – wie schön, dass Sie noch zu uns gefunden haben«, bemerkte Drescher, der halb auf den Tisch gelehnt vor seinem Auditorium saß, mit einem unverblümt tadelnden Blick auf seine Uhr.
    »Guten Morgen. Ich …« – »Setzen Sie sich doch«, schnitt er ihr das Wort ab, sah sie über den Rand seiner Brille hinweg streng an und wies auf den erstbesten freien Stuhl. Lena nickte in die Runde neugieriger Gesichter, und sofort fiel ihr die Anspannung auf, die in dem Raum lag und die mit den Händen greifbar schien. Obwohl die großen Fenster gekippt waren, schien der Luft in dem Raum jeglicher Sauerstoff zu fehlen. Lena ging durch die eng bestuhlten Sitzreihen, ehe sie mit hochrotem Kopf Platz nahm und sich dabei immer wieder ermahnte, nicht auf Dreschers Nasenpflaster zu starren und die Blutergüsse, die sich um die Augen abzeichneten. Den Blicken ihrer neuen Kollegen schenkte sie ebenso wenig Beachtung wie dem Tuscheln. Sie kramte ihr schwarzes, in Leder gebundenes Notizbuch sowie einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche, bemühte sich, eine konzentrierte Miene aufzusetzen, und folgte Dreschers Blick zu der Wand mit den Fotos all jener Frauen, die innerhalb der letzten zwei Monate verstümmelt aufgefunden worden waren. Alle zwölf Opfer waren auf Feldwegen, in Waldstücken oder an schlecht einsehbaren Ufern gefunden worden, doch an keinem der Tatorte war je verwertbares Beweismaterial sichergestellt worden. Die Frauen auf den Fotos waren zwischen siebzehn und fünfunddreißig, und jede von ihnen war nackt und lag auf dem Bauch. Die Hände auf dem Rücken gefesselt. Zudem waren ihnen verschiedene Körperteile abgetrennt worden. Der einen fehlten die Arme, die Genitalien, der komplette Unterleib, der anderen wieder die Arme oder gar der Kopf. Neben starken Prellungen wiesen alle Opfer mehrere Einschnittstellen auf sowie die typischen Quetschungen an Hand- und Fußgelenken, die Lena von Opfern kannte, die mit Schraubzwingen malträtiert worden waren. Dennoch gab es keinen dominierenden Typ unter den Frauen, kein eindeutiges Opferprofil, wie Lena es von anderen Serienmördern kannte, die es beispielsweise nur auf Blondinen, auf Rothaarige, Brünette, besonders füllige oder schmächtige Frauen abgesehen hatten. Diese Frauen waren so unterschiedlich wie die Milieus, denen sie entstammten, ging es Lena durch den Kopf, während sie ihre Augen weiter über die Fotos schweifen ließ. Bei dem letzten Bild in der Reihe musste Lena plötzlich schlucken. Die Mathematikstudentin. Das zwölfte Opfer. Drescher hatte mit seiner gestrigen Annahme ins Schwarze getroffen.
    »Bei dem jüngsten Opfer handelt es sich um die zwanzigjährige Yvonne Nowak«, fügte Drescher wie zur Bestätigung hinzu, als er Lenas entsetzten Blick registrierte.
    Die junge Frau war ebenfalls nackt. Das Lächeln, das Lena von dem anderen Foto in Erinnerung hatte, war einer schmerzverzerrten, erstarrten Miene gewichen. Als Lena sah, dass der Frau die Füße abgetrennt worden waren, überlief sie ein kalter Schauer.
    »Ein Gabelstaplerfahrer hat ihren Leichnam in den frühen Morgenstunden auf dem Schrottplatz im Wedding entdeckt«, fasste Drescher noch einmal für Lena zusammen. »Nach Angaben der Gerichtsmediziner war Yvonne Nowak zu diesem
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