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Opfer

Opfer

Titel: Opfer
Autoren: Cathi Unsworth
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Ihre Enkelin. Sie konnte doch nichts dafür, wie ihre Mutter sich aufführte …
    Edna verzog das Gesicht, zog den Stöpsel aus dem Abfluss und trocknete sich schnell die Hände ab. Dann wischte sie die Arbeitsplatte ab und hängte das Geschirrtuch über die Heizung, damit zumindest in ihrem Einflussbereich alles seine Ordnung hatte.
    Noodles, Ednas Spitz, hob in seinem Körbchen in der Ecke den Kopf und zeigte beim Gähnen sein rosa Maul voller scharfer, weißer Zähne. Er stand auf, schüttelte sich, sprang aus dem Korb und sah sein Frauchen mit hochgerolltem Schwanz und aufgestellten kleinen Ohren an.
    »So ein braver Kerl«, sagte Edna und ging in die Hocke, um ihn zu streicheln, wobei sie ein stechender Schmerz im Knie an ihre Arthritis erinnerte. Noodles kläffte eine Antwort und rieb sich mit der Schnauze in ihrer Hand. Mit seiner goldenen Mähne und seinem geschäftigen Gang war er Edna ziemlich ähnlich. Überhaupt verstanden sie einander sehr gut.
    Sie stiegen die mit dickem Teppich ausgelegte Treppe hinauf und gingen in das Kinderzimmer, das Edna über die letzten Wochen für Sammy hergerichtet hatte.
    Edna ließ den Blick über die Tapete und die dazu passende Tagesdecke streifen, die sie bei Laura Ashley in Norwich besorgt hatte. Sie hatte ihre beste Freundin Shirley Reece um Rat gefragt, die Enkelinnen in Sammys Alter hatte.
    Shirley war überzeugt gewesen, dass das helle, schlichte Mohn-Muster gut ankommen würde. Edna war sich da nicht mehr so sicher. Das Zimmer war so klein, dass der Korb-Schminktisch mit Hocker das Fenster und den Blick aufs Meer versperrte. Und der Kleiderschrank an der Wand gegenüber sah wirklich nicht groß genug für Sammys Sachen aus.
    »Ach Noodles«, flüsterte Edna, »und wenn’s ihr gar nicht gefällt?«
    Noodles sah mit verständnisvollen braunen Augen zu seinem Frauchen auf.
    Edna legte eine Hand auf das Regal, das sie Eric hatte aufbauen lassen. Dort hatte sie das Spielzeug aufgestellt, das Sammy auf dem Leisure Beach gewonnen hatte, und die Bücher, die sie nach ihren Besuchen zurückgelassen hatte. Wenn sie am Anfang der Sommerferien herkam, nahm sie immer zuerst eine Porzellan-Micky-Maus oder eine der vielen Nancy-Drew -Detektivgeschichten in die Hand. Edna ahnte aber, dass Sammys Kindersachen sie diesmal nicht so sehr interessieren würden, da sie nun ganz hierbleiben würde. Womöglich würde sie sich einmal im Zimmer umsehen und dann Ednas liebevoll ausgewählte Dekorationen komplett in den Müll werfen.
    Aber Sammy konnte ja nichts dafür, wie ihre Mutter sich aufführte …
    Als sich ihre Hand um das Figürchen schloss, brachen die Erinnerungen durch, die sie den ganzen Tag, den ganzen Monat, den ganzen Sommer über hatte verdrängen wollen, seit ihre Tochter Amanda sie angerufen und ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte.
    Amanda, der Grund für Erics ersten Herzinfarkt. Amanda mit ihrer zu üppigen Figur und ihren Plateau-Stiefeln, die mit einem Künstler nach London durchbrannte, als sie gerade achtzehn geworden war – achtzehn und acht Wochen schwanger. Edna schloss die Augen, wehrte sich gegen die Erinnerungen: das Geschrei, die Flüche, die Scherben, die zertretenen Möbel, die geballten Fäuste und geplatzten Adern … Wie Eric im Krankenhaus am Beatmungsgerät gelegen hatte, stumm, die Augen voller Wut, während Edna neben ihm schluchzte. Amanda, die erst wagte, sich wieder bei ihnen zu melden, als das Baby da war, das sie von Anfang dazu benutzt hatte, ihre Annäherungsversuche abzuwehren, ihre Sicht auf die Dinge.
    Nein, Sammy konnte nichts dafür, dachte Edna wieder und ballte die Hand zur Faust …
    *
    Entlang der Uferstraße gingen flackernd die Laternen an. Von den North Denes, wo Edna in ihrer Designervilla stand, waren es auf der Marine Parade zwischen den flachen Sanddünen hindurch anderthalb Kilometer bis zum ersten Pier von Ernemouth.
    Der hochviktorianische Britannic Pier zeugte von der Bedeutung des Handels für die Stadt. Fünf Feuer und zwei Schoner, die das 200-Meter-Bauwerk rammten, konnten die immer neuen Unternehmer nicht davon abbringen, ihn jedes Mal wieder aufzubauen und jedes Mal das Theater darauf noch zu vergrößern, um mehr Zuschauerplätze für die Sommervorstellungen zu schaffen. Vor der aktuellen Fassade lag ein Freizeitpark, in dem Riesenschnecken lachende Kinder umherkutschierten. Darüber die hell erleuchteten Namen der Stars der Saison: Cannon and Ball, The Grumbleweeds und Jim Davidson’s Late Nite Nick-Nick .
    Der
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