Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Operation Glueckskeks

Titel: Operation Glueckskeks
Autoren: York Pijahn
Vom Netzwerk:
die 60, deren Eltern wahrscheinlich auch schon tot sind, die
zweimal schon vor einem Sarg stehen mussten, vor einem Loch im Friedhofsboden. Dass so wenig Leute vor Trauer irre durch die Gegend torkeln, ist mir ein Rätsel.
    Als ich in Bielefeld ankam, hatten meine Mutter und mein ältester Bruder die Beerdigung schon auf die Schiene gesetzt: den Ablauf der Dinge, die getan werden müssen, wenn jemand tot ist. Wir saßen bei einem dicken Beerdigungsunternehmer, der den gleichen Namen trug wie der Schlachter bei uns im Dorf. Ich hatte den Schlachter und den Totengräber als Kind für die gleiche Person gehalten und mir nicht viel dabei gedacht. Wir hockten in einer rustikalen Wohnecke im Haus des Bestatters, in der man sich fühlte wie in einer Skihütte aus einem Heimatfilm, und redeten über die Auswahl der Blumen.
    Und dann stehe ich vor ihm: Mein Vater liegt in einem Hinterzimmer der Friedhofskapelle, mein Bruder hat mich durch die Tür geschoben. Mein Vater ist bleich, er sieht gut aus, seine Krankheit ist weg, nur ein dünner, großer Mann im schwarzen Anzug mit hochgeschlossenem Hemd liegt da, dem der Beerdigungsunternehmer den kurzen, schwarzen Pony in die falsche Richtung gekämmt hat. Drei Stunden später habe ich eine Schippe in der Hand, die mir glaube ich mein anderer Bruder in die Hand gegeben hat. Der verschlossene Sarg meines Vaters liegt in einer Grube, und ich werfe Sand auf den Deckel. Ich habe mich dabei sehr schlecht gefühlt, als ob ich ihn damit umbringe, seine Rückkehr unmöglich mache. Und dann passierte das Wunder der Pilotenbrille.

    »York, hast du die Typen gesehen?« Die Stimme zu diesem Satz gehörte meinem Abiturfreund Frank, den wir hinter seinem Rücken »beautiful Frank« nennen und der vor einem Jahr sinnvollerweise die Frau geheiratet hat, die wir seit Abi-zeiten »beautiful Betty« rufen. Sie haben übrigens ein paar sehr hübsche Kinder bekommen, als ob das jemanden wundert, aber ich schweife ab. Also. Die Typen. Vier dicke Männer, die Sargträger meines Vaters. Sie trugen dunkelgrüne Uniformen, wie man sie vermutlich in der Colonia Dignidad anhat, oder sonst einem Ort, an dem alte Nazis leben, die sich als Förster verkleiden, um nicht vom Mossad erwischt zu werden. Sie trugen zu ihren dunkelgrünen Fantasieuniformen weiße Schuhe und verspiegelte, tropfenförmige Pilotenbrillen, auf den Köpfen Polizistenmützen. Beautiful Frank und ich starrten die Träger an. Der Tod feierte im Outfit dieser Männer einen kurzen, heftigen Karneval.
    So wie ich es sehe, gibt es keine echte Alternative zum Weitermachen, zur Suche nach dem Komischen in der Kraterlandschaft.
    Ich musste lachen, nicht laut, nicht aus-der-Rolle-Falllachen, sondern einfach ein bisschen lachen. Es hatte an dem Morgen geregnet, dann kam Sonne über die Spitzen der Kiefern, der Friedhof dampfte. Und ich muss jetzt wieder lachen. Meine Mutter sagt, das läge daran, weil man nach
langem Weinen den Speicher für Traurigkeit geleert hat und dann die Stimmung ins Komische kippt. Noch im gleichen Jahr war ich auf der Beerdigung eines Onkels einer Freundin, den der Pastor in seiner Rede »Günther« nannte, obwohl der Tote eigentlich »Dieter« hieß. Wenn ich der Tote gewesen wäre, hätte mich das sehr genervt: »Heute verabschieden wir uns vom allseits geschätzten York. Neee, sorry, Thorsten, oder neee, Ingo hieß er, oder?« So wie ich es sehe, gibt es zum Lachen keine echte Alternative, zum Weitermachen, zur Suche nach dem Komischen in der Kraterlandschaft. Papa kommt nicht wieder, das ist traurig. Seine Sargträger sahen aus wie die Roncalli-Gestapo, das ist lustig. Hinter dem Friedhof liegt unsere Dorfstraße. Sie führt in einem weiten Bogen zum Bahnübergang und einem Bushäuschen, zu Feldern, Wiesen, Wäldern. Es hört niemals wirklich auf.

Erster! Erster! Urlaub in der Vorsaison
    I ch verwandle mich. Von einem gefallsüchtigen Yuppie, der keine Gelegenheit auslässt, sich bei Kellnern und Taxifahrern einzuschleimen, in das fleischgewordene Grauen, sobald ich einen Urlaubsflieger besteige. Ich will nicht Teil einer Horde sein, ich will der erste Deutsche sein, der das Landesinnere von Ibiza entdeckt, number one in Neapel, Erster in España. Sie sehen ja irgendwo auf dem Umschlag dieses Buches mein Foto. Wenn ich an Bord der Maschine bin, mit der auch Sie gerade in den Urlaub fliegen wollen, bitte wieder aussteigen, es ist zu Ihrem eigenen Besten. Danke.
    So. Warum dieser elendig lange Vorlauf? Weil ich seit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher