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Operation Glueckskeks

Titel: Operation Glueckskeks
Autoren: York Pijahn
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Butterfahrtsdampfer. Gäbe es einen Lexikoneintrag zum Rabatt-Junkie, würde er sich wahrscheinlich so lesen: Rabatt-Junkie (der); markenbewusster Geizkragen mit dem Drang, mit seinem letzten Kauf zu prahlen. In Outlet-Stores nur mit Maulkorb und an der Leine zu führen (siehe auch »Tobsucht«, »Bankrottgefahr«). Ohne den R. wäre Ebay nie entstanden oder
hätte ungefähr so viele Kunden wie eine Spanferkelbraterei in Mekka.
    In guten Lexika steht unter diesem Eintrag ein Foto von mir. Ich halte meine neuen, schwarzen, halbhohen Jil-Sander-Winterstiefel in die Kamera. Und ich lächle. Ich habe die Schuhe vor drei Wochen reduziert gekauft, noch im Laden den Reißverschluss kaputt gefummelt, um den Preis noch etwas drücken zu können. Ich sehe in ihnen aus wie Onassis, habe allerdings einen etwas schleppenden Gang, da die Stiefel zwei Nummern zu groß sind und ich darin zwei Paar Einlagen tragen muss; bei 59 Euro - das weiß ein echter Schnäppchenjäger - muss man Kompromisse eingehen.
    Rabatt-Junkies wie ich sind Pragmatiker, ihr Blick ist in die Zukunft gerichtet, sie kaufen, um auf alles vorbereitet zu sein: Was, wenn ich plötzlich morgen eine Dauerwelle habe? Ja, was dann? Für den Fall nehme ich immer die Einmalduschhaube mit, die in Hotels in dem kleinen Bastkörbchen neben dem Spiegel liegt. Und bevor Sie danach fragen, auch das Nähset und den aufdringlich nach Kokosnuss riechenden Conditioner in den kleinen Plastikfläschchen. Geht es billiger als umsonst?
    Ich weiß, wie irre das klingen muss für jemanden, der immer den vollen Preis bezahlt. Der nicht wie ich mit stählernen Ellbogen durch den Schlussverkauf pflügt. Der nicht das Hochgefühl kennt, den einen Autohausbesitzer gegen den anderen auszuspielen, bis man ihm nicht nur einen niedrigeren Preis, sondern auch vier extra Warndreiecke aus den
Rippen geleiert hat. Ich habe mit diesen Charaktereigenschaften im Übrigen meinen Frieden gemacht. Ja, Sie ahnen es, ich habe mal wieder eine Studie ausgegraben, um meine Macken ein bisschen schönzureden. Also: Gegen Rabattsucht kann man sich nicht wehren, das hat der Bonner Hirnforscher Christian Elger herausgefunden. Elger hat untersucht, was passiert, wenn wir ein Rabattschild sehen. Ergebnis: Es setzt einen Teil des Hirns lahm, der auf den hübschen Namen Gyrus cinguli hört und für das Abwägen von Kaufentscheidungen zuständig ist. Sprich, wir schalten durch das Rabattschild auf Autopilot. Sehen, kaufen, danke schön. Und es kommt noch besser. Rabattkäufe aktivieren laut der Studie das Belohnungssystem im Kopf auf ähnliche Weise wie Kokain.
    Illu. 12

    Ich werde jetzt diesen Text beenden. Denn ich muss wie jede Woche meinen Telefonanbieter wechseln, da hat sich in den letzten Tagen vor allem im Wochenend-Flat-Bereich so einiges getan. Und dann will ich noch Preisvergleichsseiten im Internet überfliegen, um eine möglichst günstige Waschmaschine zu kaufen. Blöd, dass ich damit schon so viel Zeit verdödelt habe, sodass ich seit drei Wochen nicht gewaschen und daher nix mehr zum Anziehen habe. Nun ja, es gibt ja noch die Jil-Sander-Boots und diese tollen Schwangerschafts-T-Shirts. Die waren übrigens super preiswert. Hatte ich das erwähnt?
    Kaum sehen wir ein Rabattschild, schalten wir auf Autopilot: sehen, kaufen, danke schön.

Papa ist tot: Das Wunder der Pilotenbrille
    I n der Nacht, bevor mein Vater starb, war ich auf einer Party in der WG meiner damaligen Freundin. Ich war bedrückt, müde, zornig und hatte einen Schnupfen. Mein Vater lag schon lange im Sterben. Von den Anrufen, es ginge ihm jetzt mal wieder besser und dann mal wieder schlechter, hatte ich ein paar zu viele bekommen. Zu oft hatte ich im Zug von Hamburg nach Bielefeld gesessen, war zu oft durch das beigefarbene Pflegeheim gegangen, in dem es nach Krankenhaus, Kantine und Zigaretten roch. Es gibt nur eine begrenzte Zahl von Sonntagen, die ein Mensch in Pflegeheimen verbringen kann, und ich hatte meine aufgebraucht. Diesmal wollte ich nicht hin, ich wollte auf eine Party gehen - auf der ich jedes Gespräch vermied, weil ich vermutlich wusste, dass ich gerade die falsche Sache tat. Morgens um fünf klingelte mein Telefon. Ich höre die Stimme meiner Mutter. Und sie redet mit mir, als sei ich ein kleines Kind und sie Mutter Courage. Der Papa ist heute Nacht eingeschlafen, möchtest du vielleicht nach Bielefeld kommen?
    Ich habe mich danach immer wieder gefragt, warum auf der Straße so wenige Verrückte herumlaufen. Menschen um
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