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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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Jena. Als richtige Städte bleiben Leipzig und Frankfurt am Main. Keine Möchtegerntitel, keine Lokalarroganz, kein zwanghaftes Verleugnen der eigenen Unwichtigkeit.
    Was machte ich dann eigentlich in Berlin? Wie hatte ich es bisher hier ausgehalten, und warum zog ich nicht weg? Gewohnheit, Freunde, Faulheit? Und warum wollte ich diese Stadt jetzt auch noch anderen Menschen erklären? Oder gefiel es mir wirklich in Berlin?
    Wo war ich jetzt?

Se Berliners call it liebevoll …
    H allo. Ich komm von der Reederei und wollte fragen, ob ich mal mitfahren kann.«
    Der vollbärtige Bootsmann drehte sich wortlos um und ging ins Schiff. Heißt das jetzt ja oder nein? Eine pummelige Frau mit Namensschild am Schlabberhemd kam heraus.
    »Hallo, ich bin die Mona.«
    »Ich bin Tilman. Ich hab mich bei der Reederei als Sprecher beworben und wollte heute probeweise mal mitfahren.«
    Wir gaben einander die Hand, und sie führte mich aufs Oberdeck, wo ich mich vor sie in die erste Reihe setzte. Schöner Tag. Die Sonne schien, und die allgemeine Laune war offensichtlich gut. Wenn das den ganzen Sommer über so bleiben sollte, ließe sich das bestimmt aushalten.
    »Machst du das schon länger?«, fragte ich Mona.
    »Das ist jetzt meine dritte Saison. Aber eigentlich bin ich Dolmetscherin für Englisch und Russisch.«
    Das traf sich gut. Das mühsame Heraussuchen der englischen Vokabeln, die ich für eine Führung in Berlin brauchen würde (Plattenbau, Ausbürgerung, Mauertote), konnte ich mir also ersparen, wenn ich ihr jetzt gut zuhörte und mitschrieb.
    »Bist du sicher, dass du den Job machen willst?«
    Wieso fragten mich eigentlich alle danach? War das so eine Art Mafia, aus der man nicht mehr aussteigen konnte? Wie viele Stadtbilderklärer lagen wohl schon mit einbetonierten Füßen auf dem Grund der Spree?
    »Äh, ja … schon. Ist doch bestimmt ein ganz netter Job.«
    »Pfff …«, machte Mona. »Das kann auch ganz schön frustrierend sein. Ich erkläre und erkläre, aber ob die überhaupt was verstehen, weiß ich auch nicht.«
    »Ach so, ja. Das kann natürlich sein.«
    Ich beschloss, mir darüber vorerst keine Gedanken zu machen.
    »Weil, weißte, die sind manchmal gar nicht so einfach.«
    Aha.
    Wir legten ab. Mona stellte sich vor, begrüßte die Gäste im Namen der Reederei und wies sie an, auf dem Oberdeck sitzen zu bleiben, damit sie sich nicht den Kopf an den Brücken stießen.
    »Links sehen Sie den Fernsehturm. Er ist 368 Meter hoch und wurde 1969 eröffnet. Die Berliner nennen ihn liebevoll Telespargel. On se left se TV -Tower. It was opened in 1969. Ze Berliners call it Tele-Asparagus.«
    Ich schrieb: ›Telespargel – Tele-Asparagus‹.
    Ob die Deutschen wegen solcher Wortschöpfungen im Rest der Welt für ein bisschen plemplem gehalten werden? Man könnte es fast für möglich halten, wenn man sich die Spitznamen anderer Gebäude oder Denkmäler anhörte, etwa den Nischel in Chemnitz oder den Briggegickel in Frankfurt am Main.
    Mona sprach weiter über das Nikolaiviertel. Es folgten: ›Kurfürstenhaus – elector’s house‹ und ›Gründungsort – where the city was founded‹.
    »Rechts der Marstall, die Unterkunft für die Pferde und Kutschen des königlichen Haushalts. Heute befinden sich hier die Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie die Musikhochschule Hanns Eisler.«
    Sie hatte eine ziemlich monotone Betonung. Ich musste an lange Referate an langen Nachmittagen im Sozialwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität denken. Ich schrieb auf: ›Marstall –‹
    »On se right, se Marstall. Sis is where se horses and carriages were kept.«
    Mist. ›Marstall – Marstall‹.
    Die ersten Reihen machten den Eindruck, als hörten sie ihr zu. Von achtern war aber deutliches Gebrabbel zu hören. Mona nahm das Mikrofon vom Mund.
    »Siehste«, sagte sie zu mir. »Die, die hinten sitzen, hören nie zu. Und das sind meistens die Briten. Ich glaube, die sind nur zum Saufen hier.«
    »Vielleicht hört man hinten einfach schlecht«, sagte ich.
    »Quatsch«, sagte sie. »Die wollen nur nicht. Das hat doch einen Grund, warum die hinten sitzen. Ist wie in der Schule.«
    Wir fuhren unter der Rathausbrücke durch bis zur Mühlendammschleuse. Mona nahm das Mikrofon wieder an den Mund:
    »Vor uns die Mühlendammschleuse, die hier in den Dreißigerjahren angelegt wurde. Hinter uns die Mühlendammbrücke. Der Mühlendamm heißt so, weil hier früher viele Mühlen standen.«
    Hinter mir fing ein Mann an zu
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