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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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Sowjetunion«-Tonfalls, zum anderen wegen der Genitivhäufung, die neben dem militärischen Abkürzfimmel – dem sogenannten Aküfi – ein beherrschendes Stilmittel der offiziellen Rhetorik war. Nie ist mehr Genitiv von deutschem Boden ausgegangen. Die Schriften der führenden Theoretiker der Partei der Arbeiterklasse. Der noch weitere Ausbau der allseitigen Stärkung unserer Republik. Man muss sich wundern, dass die Kongresshalle am Alexanderplatz nicht »Halle des Kongresses« hieß.
    Einige Passagiere gingen von Bord, ein paar andere kamen herein. Ich blinzelte über die Bäume des Tiergartens in den blauen Himmel. Ganz schön warm heute. Wenn ich den Job wirklich machen wollte, brauchte ich einen Strohhut oder etwas Ähnliches. Und ob ich in den Pausen Zeit finden würde, mal zwanzig Minuten im Crewraum den Kopf auf den Tisch zu legen?
    »Wir bedanken uns außerdem bei den Werktätigen des VEB Feliks Dzierzynski Schiffswerke Rostock, die in unermüdlicher Arbeit für unsere Republik den Plan wieder einmal übererfüllt und uns dieses schöne neue Schiff gebaut haben. Wir werden uns erkenntlich zeigen, indem wir die Ideen der führenden Theoretiker der Partei der Arbeiterklasse umsetzen, die Vorgaben des VIII . Parteitages erfüllen und weiterhin für die noch weitere allseitige Stärkung unserer Republik kämpfen werden.«
    Ich schreckte hoch und fiel fast vom Stuhl. Der Mann hinter mir beugte sich zu mir:
    »Schlafen Sie ruhig weiter, junger Mann. Sie verpassen nichts.«
    »Wieso?«, fragte ich.
    »Die Berliner nennen das Kanzleramt liebevoll Bundeswaschmaschine«, sagte Mona vorne.
    Ach so.
    Als wir wieder am Palast angelegt hatten, standen wir beide am Ausgang.
    »Und dann geben die nicht mal Trinkgeld«, flüsterte sie mir zu.
    »Ja«, sagte ich. »Find ich auch voll unfair.«
    Ich fuhr nach Hause und machte sofort Wikipedia auf.
    »Deutscher Krieg: […] Bis heute finden sich hauptsächlich die Ausdrücke Preußisch-Österreichischer Krieg oder Einigungskrieg.«
    PONS Deutsch-Englisch:
    »Einigung <- , -en> f 1. ( Übereinstimmung ) agreement 2. ( Vereinigung ) unification«.

Chronik meiner Nebenjobs
    Arbeit!
    Geißel der Menschheit!
    Verflucht seist du bis ans Ende aller Tage.
    Du, die du uns Elend bringst und Not,
    uns zu Krüppeln machst und zu Idioten,
    uns schlechte Laune schaffst und unnütz Zwietracht säst,
    uns den Tag raubst und die Nacht,
    verflucht seist du!
    Verflucht!
    In Ewigkeit
    Amen.
    Michael Stein
    Mit Lohnarbeit hatte ich schon immer Probleme. Nicht wegen der Arbeit oder des Lohnes, sondern wegen einer ausgeprägten Scheu vor Autoritäten und der ständigen Angst, etwas falsch zu machen und dafür Sanktionen fürchten zu müssen. Erfahrung im Falschmachen hatte ich viel. Als Kind wusch ich die Autos der Nachbarn und zerkratzte dabei ihren Lack. Meine Eltern gingen so mehrerer freundlicher Nachbarschaftskontakte verlustig, und fortan musste meine Oma aus einem Frankfurter Außenbezirk anreisen, um unsere Blumen zu gießen, wenn wir in Urlaub waren.
    Als Jugendlicher lieferte ich für eine Apotheke Medikamente an alte Menschen aus und ließ dabei gern mal Flaschen mit Durchfallmittel fallen, deren Inhalt sich müffelnd und glibberig über alle anderen Medikamente verteilte, die die Rentner nun zu bezahlen sich weigerten.
    Nach dem Abitur verweigerte ich den Wehrdienst und wurde Zivildienstleistender in einer Kindertagesstätte, wo die Arbeit aus kochen, putzen und Kinder anbrüllen bestand. Eben war ich noch auf der Schule, wo ich selbst die Autoritätensprüche der Lehrer hören musste: »So kommse nich weit«, »Dass ich Sie immer erst auffordern muss!« und »Dass Sie auch nie mehr machen als nötig!«. Jetzt musste ich selber die Autorität spielen und die feststehenden Erziehungssätze anwenden, die Eltern und Erzieher ihren Kindern seit Jahrtausenden um die Ohren schleudern: »Leg das weg«, »Ich sag es jetzt zum letzten Mal« und den Klassiker, der auf einer Freizeit nie fehlen darf: »Morgen wirdn anstrengender Tach«. Die Kinder tanzten mir gern auf der Nase herum, weil ich trotz korrekter Anwendung der Erziehungssätze nicht die Autorität eines preußischen Lateinlehrers ausstrahlte, sondern höchstens die bemühte Hilflosigkeit eines Schülerpraktikanten. Elf Monate ging ich als Zivildienstleistender einer Beschäftigung nach, die man als geregelte Arbeit hätte bezeichnen können. Dann wurde ich Student.
    In Berlin wurde ich zuerst Pizzafahrer. Ein echter Studentenjob für
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