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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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ihm.
    Abgelehnt wurde ich als Sachbearbeiter einer Autovermietung wegen meiner damals langen Haare. Trotz sehr guter Verdienstaussichten entschied ich mich gegen die Jobs als Immobilienmakler sowie Samenspender, was im Prinzip beides auf Wichser hinausgelaufen wäre.
    Durch alte Freundschaften bekam ich einen gutbezahlten Job als Aushilfswebmensch, »Einpfleger« oder auch »Schweinehälftenfreisteller« genannt: Für den Werbezettel eines Supermarktes kamen von einem Schlachthof Bilder von Fleisch. Meine Aufgabe war es, mittels Photoshop die Schweinehälften aus dem Schlachthof herauszuschneiden und in den Prospekt »einzupflegen«. Außerdem las ich Pressetexte Korrektur, die in Interpunktion und Orthographie mit jeder Landgaststättenspeisekarte mithalten konnten, und aktualisierte die Programmvorschau einer Technodisko. Als ich nach dem Jahreswechsel vergaß, im Content Management System die Jahreszahl zu ändern, standen auf der Seite falsche Wochentage. Die Presse war verwirrt, hielt die Wochentage für richtig und die Daten für falsch und druckte deshalb alle Januartermine falsch ab. Der Diskobesitzer fluchte, der Chef tobte, und ich wurde gefeuert. Und wieder kam der Gedanke: Vielleicht lag diese Arbeit doch ein bisschen über meinen Fähigkeiten.
    Man sollte mir einfach nicht zu viel Verantwortung übertragen. Verantwortung lief nur auf Ärger hinaus. Von Verantwortung konnte ich mir nichts kaufen. »Verantwortung übernehmen« ist ohnehin einer der verlogensten Ausdrücke, die im Zusammenhang mit Arbeit gebraucht werden. Politiker meinen mit »Verantwortung übernehmen«, mehr Macht zu bekommen, weil sie ein höheres Amt bekleiden. Alternativ »übernehmen sie politische Verantwortung«, wenn sie nach einem Skandal zurücktreten. In diesem Fall ist es ein Euphemismus für: sich aus dem Staub machen und in Ruhestand gehen. Wenn ein Student oder Berufsanfänger in seiner Arbeit »mehr Verantwortung übernimmt«, heißt das, dass er mehr arbeitet als bisher, dafür aber nicht bezahlt wird.
    Nun war ich allerdings Absolvent, und eigentlich erwarteten Markt, Wirtschaft und Zeitgeist genau das von mir: nicht für Geld, sondern für den Lebenslauf arbeiten, Einsatz zeigen, risikofreudig, belastbar und flexibel sein und ähnlichen Quatsch mehr. Weißt du, was du willst? Geh deinen Weg. Mach dein Ding. Sag mir, wo du stehst. Decodiert: Geh meinen Weg. Mach mein Ding. Steh dort, wo ich es sage. Dass ich dafür nicht geschaffen war, wurde mir relativ schnell klar. Die Absolventenkurse und Berufsinformationsveranstaltungen an der Universität wimmelten von Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschten als einen dieser Jobs. Wenn sie ihn dann endlich hatten, waren sie stolz auf ihre Überarbeitung. Sie setzten alles daran, sich problemlos in ein System einzufügen, das von ihnen Anpassung, Unterordnung und Selbstverleugnung forderte. Wer nicht jeden Tag über zu viel Stress, zu viel Arbeit und zu wenig Freizeit klagte, war offenbar als Arbeitnehmer nicht ernst zu nehmen. Stress war für Berufsanfänger so etwas wie Sex für Gangsterrapper: Keiner hat mehr als man selbst, und alle anderen müssen es erfahren. Am besten ließ sich diese heiß ersehnte Professionalität durch chronische schlechte Laune nach außen tragen. Auf gar keinen Fall durfte man sagen: »Ach, mir geht es ganz gut. Ich arbeite ein bisschen, und abends geh ich in den Park Bier trinken. Oder ich fahr mit Freunden an den See.« Dann wurde man entweder bezichtigt, von den Eltern oder vom Amt zu leben, oder man wurde belächelt, weil man ja noch nicht verstanden hat, dass Arbeit erst dann ernsthafte Arbeit ist, wenn es einem dabei auch richtig schön scheiße geht. Oder man wurde, wenn die Bezahlung wirklich gut war, mit neidischen Sätzen im angepissten Ton bedacht: »Ja, das hätt ich ja auch gern. Bisschen rumsitzen und dafür bezahlt werden. Weißte, es gibt Leute, die müssen noch richtig arbeiten für ihr Geld.«
    Die ideale Arbeit für mich durfte also keiner dieser Berufsanfängerknechterjobs sein. Sie sollte keine körperliche sein, durfte von mir weder Autorität noch Durchsetzungsvermögen noch besondere Wachsamkeit verlangen. Man musste sie im Sitzen erledigen können, in einem Betrieb, der nicht mit Ordnungsbehörden und Justiz in Konflikt kommen konnte, und ich dürfte auf gar keinen Fall Verantwortung für irgendetwas übernehmen müssen. Text runterquatschen war perfekt! Welche Verantwortung hätte ich schon auf einem Schiff? Kaputt
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