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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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er?«
    »Schatz, ich bin zu Hause! Darling, I’m home!«
    »Äh …?«
    »Kleiner Spaß.«
    »Ach so.«
    Er erklärte mir zunächst die Wochenplanung und die Routen. Ich sollte wie Matthias die einstündige Tour fahren, »durch die historische Mitte und das Regierungsviertel«. Das passte mir ganz gut, denn nach sechsmal einer Stunde bekommt man sicher mehr Trinkgeld als nach zweimal drei Stunden. Trinkgeld nehmen sei grundsätzlich erlaubt. Man solle aber nicht mit einem selbstgemalten Schild, auf dem groß » TRINKGELD HIER EINWERFEN !« steht, am Ausgang stehen. Die Kapitäne hätten hier das Hausrecht, und manche würden darauf bestehen, dass der Stadtbilderklärer nicht auf dem Schiff, sondern nur am Ufer Trinkgeld entgegennimmt.
    »Sonst gibt es mit den Kapitänen aber keine Probleme. Der Schiffsführer auf dem Schiff, mit dem Sie fahren werden, hat erst ein einziges Schiff verloren. Hat auf dem Müggelsee einen Eisberg gerammt. Das war letzte Woche.«
    »Ach?«
    »Kleiner Scherz. Haha.«
    »Ach so, hähähä!«
    Es gebe drei Sachen, die mit äußerster Vorsicht zu behandeln seien. Das sei zunächst Politik. Der Stadtbilderklärer solle sich weder positiv noch negativ zu Politikern, Parteien oder dem politischen Geschehen äußern und erst recht keine Politkabarettwitzchen aus dem Scheibenwischer klauen. Das Zweite sei Religion. Das Dritte sei Sport, insbesondere Fußball.
    »Wo kommt er doch gleich her?«, fragte er.
    »Frankfurt am Main.«
    »Hui! Ist er Eintracht-Fan?«
    »Na ja, es geht so.«
    »Das sagen Sie auf dem Schiff besser nicht. Wir hatten hier mal einen eingefleischten Union-Fan als Stadtbilderklärer, der wäre fast mal von einem Dresdner über Bord geschmissen worden. Das passiert öfter, gerade mit Dresdnern. Wenn Sie jemanden haben, der sächsisch spricht, sagen Sie am besten, Sie wären Eskimo oder Massai oder so was.«
    »Alles klar, ich bin Massai.«
    »Kleiner Scherz. Und ganz wichtig, ich kann es nicht oft genug sagen: Seien Sie nicht krampfhaft witzig. Leute, die versuchen, auf Teufel komm raus lustig zu sein, werden ganz schnell peinlich.«
    »Natürlich, da haben Sie recht.«
    »Jetzt ist es Ende Mai, da haben Sie ja noch fast die ganze Saison vor sich. Wir machen in der ersten Novemberhälfte Schluss, je nach Wetterlage. Danach ist Winterpause, meistens bis Ostern. Wissen Sie denn schon, was Sie im Winter machen wollen?«
    »Ich würde zwei gleichfarbige Socken anziehen«, sagte ich.
    »Ja … gut«, sagte Herr Dietrich. »Das macht man ja gerne mal im Winter.«
    Ich bekam ein Skript, eine Broschüre mit allen Touren und Fahrplänen sowie Herrn Dietrichs Visitenkarte. Ich könne auch probeweise mal bei anderen Erklärern mitfahren, um mir anzusehen, wie die das machen. Wenn ich mich bereit fühlte, in ein bis zwei Wochen, würde ich die erste Tour in seiner Anwesenheit machen, danach könnte ich offiziell anfangen.
    »Das ist gut, dass Sie kommen«, sagte Herr Dietrich zum Abschied. »Wir sind im Moment ziemlich knapp mit den Erklärern. Jemanden wie Sie können wir gut gebrauchen.«
    Als ich wieder in der S-Bahn saß, wunderte ich mich über seine Direktheit: Das klang doch alles so, als würde er mich nehmen. Donnerwetter! Anscheinend hatte ich wirklich ein exzellentes Bewerbungsgespräch hingelegt. Meine Bekannten aus der Uni müssen recht gehabt haben: Man muss einfach nur die Antworten auswendig lernen und hat den Job so gut wie in der Tasche. Wer Arbeit will, der kriegt auch Arbeit.

Wo war ich jetzt?
    D as Skript bestand aus zwanzig Seiten Fließtext. Seit meiner Führerscheinprüfung hatte ich nichts mehr auswendig lernen müssen. Außerdem hatte sich meine Konzentrationsfähigkeit seit der Einführung von Youtube, Wikipedia und StudiVZ auf den Stand eines Fünfzehnjährigen zurückentwickelt.
    Es begann mit einer allgemeinen Einführung. Erste Erwähnung Cöllns 1237, Berlins 1244. Vereinigung zur Doppelstadt, Aufstieg unter den Hohenzollern.
    »Die Stadt Berlin bestand im 19. Jahrhundert praktisch nur aus dem Bezirk Mitte. Erst die Reichsgründung von 1871 gab Berlin einen städtebaulichen Impuls, der sich auch an den Straßennamen ablesen lässt. Die preußische Annexion Elsass-Lothringens nach dem Krieg von 1870/71 reflektiert sich in der Namensgebung der Straßen im südlichen Prenzlauer Berg: Colmarer Straße, Straßburger Straße, Metzer Straße, Hagenauer Straße und so weiter. Deshalb nennt man dieses Viertel Elsässer Viertel.«
    Elsässer Viertel, nie gehört. Es
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