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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an
Autoren: Anne Telscombe
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dieselbe Wellenlänge, Humphrey. Das müssen Sie doch einsehen.»
    «Doch», widersprach Humphrey hartnäckig. «Ich werde es beweisen. Ich hab’s nicht eilig. Dies ist zwar mein letzter Abend in Moskau, aber wenn ich erst mal wieder in London bin, dann werde ich Sie mit Telegrammen bombardieren. Ich werde jeden Tag im Auswärtigen Amt anrufen und fragen, wann Sie zurückkommen. Ich werde einen ganzen Blumenladen zum Willkommen an Ihr Flugzeug bringen. Ich werde -»
    Schließlich fing Jackie doch an zu lachen.
    «Humphrey, Sie Idiot. Sogar wenn Sie sich mal vornehmen, unkonventionell zu sein, machen Sie das auf die konventionellste Weise. Konventionell unkonventionell - ich glaube nicht, daß ich das ertrage.»
    Humphrey nahm sie bei den Schultern und schüttelte sie.
    «Sie ekelhaftes kleines Gör.»
    «Genau das meine ich», sagte Jackie, aber sie ließ sich wieder von Humphrey küssen. «Sie können doch nicht Ihr Leben lang nur küssen. Es gehört doch noch mehr dazu.»
    «Es wird auch mehr dabei sein. Wenn ich fertig mit Ihnen bin, werden Sie ganz solide geworden sein.» Dann fügte er mit einem Anflug von Selbstironie hinzu: «Und Sie werden wahrscheinlich annähernd einen Menschen aus mir gemacht haben.»
    «Hurra», sagte Jackie. «Aber die Antwort ist immer noch nein.»
    Vielleicht sah sie Humphrey nach diesem Abend nie wieder, aber eine harmlose Freundschaft mit ihm war nun auch nicht mehr möglich. Es machte sie verlegen, so neben ihm zu stehen, und sie suchte nach einem Anlaß, das Thema zu wechseln. «Sehen Sie die Lichter am andern Ufer? Das ist der Gorki-Kultur- und Erholungspark. Wollen wir hinübergehen? Und dann zurück nach Hause.»
    «Was macht man denn in einem Kultur- und Erholungspark?»
    «Die Erholung besteht meist aus dunklen Ecken und Pärchen, die genau das tun, was wir gerade getan haben. Für die Kultur gibt’s Schiffschaukeln, Karussells und Riesenräder. Kommen Sie. Sie werden es gräßlich finden.»
    Jackie bekam schon wieder die Oberhand. Sie schleifte ihn zum Eingang des Parks. Sie kletterte auf Karussells und in Schiffschaukeln. Sie beobachtete ihn genau, während sie zusammen auf dem Teufelsrad um ihr Gleichgewicht kämpften. Aber Humphrey hatte seinen Arm um ihre Taille geschlungen und dachte nicht mehr an würdiges Benehmen.
    Sie schlossen sich beim Riesenrad einer Gruppe lachender Russen an. Humphrey merkte, daß sie ihn halb neckend auf die Probe stellte, und hielt Schritt mit ihr. Es gelang ihm sogar, sie zu überraschen.
    «Hier», sagte er und drückte ihr eine Handvoll Luftballonschnüre in die Hand. Über ihnen wiegte sich eine farbenprächtige Pyramide im Wind.
    «Was, um Gottes willen, soll denn das?» fragte Jackie und hielt die Schnüre krampfhaft fest.
    «Keine Blumen weit und breit», sagte Humphrey gelassen. «Ich habe sie von der kleinen Frau dort drüben gekauft.»
    «Aber was soll das?»
    «Oh, nichts weiter. Ich fange nur an, konventionell unkonventionell zu sein.»
    Zu Humphreys Befriedigung wurde Jackies Gesicht endlich nachdenklich. Das war doch wenigstens ein Anfang, wenn die Zeit für ein Ende auch nicht mehr reichte.

20

    Als Jackie und Humphrey den Wohnblock betraten, fiel ihnen sofort die unnatürliche Stille im Treppenhaus auf.
    «Vielleicht sind sie alle eingeschlafen», flüsterte Jackie. «Dann kann ich mich in die Wohnung schleichen.»
    «Wenn sie wirklich schlafen, müßten Sie über so viele von ihnen wegklettern, daß Sie bestimmt einen aufwecken.»
    Sie beschlossen, nicht die Treppe hinaufzuschleichen, sondern, selbst auf das Risiko hin, die gesamte Presse aufzuwecken, den ratternden Fahrstuhl zu benutzen. Aber als der Aufzug im vierten Stock hielt, sahen sie mit Erstaunen, daß der Flur menschenleer war.
    «Was kann nur passiert sein?» rief Jackie aus. «Sie können es doch nicht alle aufgegeben haben und nach Hause gegangen sein?»
    «Das bezweifle ich», sagte Humphrey grimmig. «Aber vielleicht hat ihnen Tante Lavinia ein Interview gegeben, und sie sind losgestürzt, ihre Artikel zu schreiben.»
    «Das kann sie nicht getan haben. Sie hat versprochen, es nicht zu tun. Aber mir fällt gerade ein - ihr schien heute abend doch sehr daran zu liegen, uns loszuwerden. Glauben Sie, daß sie uns aus dem Weg haben wollte, weil sie vorhatte, sich aus dem Staub zu machen und irgendwo in Rußland unterzutauchen? All die schönen Reden über den Entschluß, nun doch nach England zurückzukehren, können doch Bluff gewesen sein, um uns
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