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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an
Autoren: Anne Telscombe
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könnte denken, daß sie auch Schuld hat. Sie fliegt morgen früh weg, und wenn wir Glück haben, wird sie’s vielleicht gar nicht erfahren.»
    «Aber hätte es so weit kommen müssen?» fragte Humphrey beharrlich. «Vergessen Sie nicht, mich trifft auch Schuld. Wenn ich nicht nach Moskau gekommen wäre und Tante Lavinia gesucht hätte, dann wäre das ganze Durcheinander vielleicht gar nicht entstanden.»
    «Ich weiß. Ich weiß», sagte Jackie müde. «Wir wollen jetzt nicht anfangen, die Schuld genau zu verteilen. Sie sollten auch gar nichts davon wissen. Ich habe mir heute abend die größte Mühe mit meiner lustigen Abschiedsfeier gegeben, damit Sie beide morgen früh mit gutem Gewissen fliegen können. Es war Pech, daß Stewart vor Ihnen davon angefangen hat.»
    Humphrey hielt sie am Arm fest, und Jackie leistete keinen Widerstand, als er sie neben sich an die Ufermauer zog.
    «Aber Jackie, warum machen Sie sich Gedanken wegen Tante Lavinia und mir? Warum wollten Sie uns schonen?»
    Jackie zuckte die Schultern.
    «Das weiß ich nicht. Warum tut man dies oder jenes? Wahrscheinlich schien es mir so am unkompliziertesten. Gehen Sie überall herum und erzählen jedem, wenn Sie verletzt sind oder sich aufregen? Na, sehen Sie, und ich eben auch nicht. Ach Humphrey, los, wir wollen weitergehen.»
    Sie gingen langsam weiter. Jackies Augen ruhten auf den tanzenden Lichtreflexen im Wasser. Humphrey sah sie ein paarmal von der Seite an, und als er merkte, daß sie keine Notiz von ihm nahm, widmete er sich ungeniert der Betrachtung ihres Profils. Er hatte dasselbe Gefühl wie damals beim Botschafter, als Jackie hocherhobenen Hauptes und mit fester Stimme ihr Geständnis ablegte. Nur stärker.
    Und in diesem Augenblick erkannte Humphrey plötzlich die Wahrheit
    - eine Wahrheit, von der er bis zu dieser Sekunde nichts geahnt hatte, die aber plötzlich so eindeutig und unverrückbar feststand, daß er wohl die ganze Zeit im tiefsten Innern davon gewußt haben mußte.
    «Wie komisch», dachte er, «daß es nicht auf den ersten Blick passiert ist. Seltsam, daß es so ist - so außerhalb jeder Kontrolle. Unbequem, aber nicht zu ändern.»
    Ein seltsam leichtes Gefühl überkam ihn und etwas wie atemlose Angst. Das war natürlich alles Unsinn. Morgen flog er nach London zurück, zurück an seinen Schreibtisch in der Kanzlei seines Vaters, zurück in das sichere Routineleben seiner Familie, in ein Leben, in dem es für Jackie keinen Platz gab, selbst wenn sie willens wäre, es zu versuchen.
    «Das ist idiotisch», sagte er sich. Aber während er das sagte, wußte er schon, daß alles andere unwichtig war. Das hier war wichtig: neben ihr zu gehen und zu wünschen, daß es ewig so bliebe.
    «Ich werde sie anrufen, wenn sie wieder in London ist. Es ist reiner Irrsinn, jetzt etwas zu sagen. Warten ist schwierig, aber das vernünftigste», dachte er.
    Humphrey schob seine Hand unter Jackies Arm. Der sichere und konventionelle Beginn einer Werbung, die er später zu geeigneter Zeit fortsetzen würde.
    «Wann, glauben Sie, sind Sie wieder in London, Jackie?» Selbst in seinen eigenen Ohren klang seine Stimme völlig normal und unbewegt.
    «Oh, irgendwann», sagte Jackie unbestimmt. «Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. In ein oder zwei Monaten. Vielleicht mache ich auf dem Weg in Schweden Urlaub.»
    «Aber Sie lassen mich doch wissen, wenn Sie wieder da sind? Geben Sie mir Ihre Adresse, damit ich Sie anrufen kann?» In Humphrey stieg bereits Panik auf.
    «Das lassen Sie lieber sein», sagte Jackie. «Dann erfährt Miss Baker, daß ich wieder ins Auswärtige Amt nach London zurückversetzt worden bin. Ich kann mich doch kaum mit Ihnen treffen, ohne auch Miss Baker zu besuchen.»
    «Soll das heißen, daß Sie uns ganz vergessen werden, wenn wir erst weg sind? Daß Sie auch nicht einmal mehr schreiben?»
    «O doch. Schreiben werde ich. Wahrscheinlich nächste Woche und dann wieder in einem halben Jahr. Und ein paar Jahre lang Weihnachtskarten. Wie man das eben macht. Miss Baker würde gekränkt sein, wenn ich das nicht täte.»
    Humphrey sah mit wachsender Gereiztheit, daß er in Jackies Gedanken offenbar untrennbar mit Miss Baker verbunden war.
    «Aber Jackie, Sie können eine Freundschaft doch nicht an- und abdrehen wie einen Wasserhahn. Ob Sie nun wollen oder nicht. Sie haben uns jetzt - Tante Lavinia und mich. Wir sind an allem, was Sie betrifft, interessiert. Wir möchten wissen, was Sie tun, wo Sie sind -» Humphrey merkte, daß
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