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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen
Autoren: Janne Mommsen
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klingt so ruhig, dass es fast bedrohlich wirkt.
    Ich höre die Bombe förmlich ticken. Immerhin hat Reginaihren Bruder in eine schwere Krise gestürzt, und was sie getan hat, war bösartig und ist nicht zu entschuldigen.
    «Coooord!», ruft sie und hält sich beschämt die Hände vors Gesicht.
    Ich hoffe nur, dass er ihr keine knallt oder so etwas.
    Für ein paar Sekunden scheint alles stillzustehen.
    Keiner traut sich zu atmen.
    Cord starrt Regina an.
    Es ist nicht zu erkennen, was in ihm vorgeht.
    Dann flüstert er «bscht» und eilt mit geöffneten Armen auf seine Schwester zu.
    «Ich schäme mich so sehr», heult sie.
    «Schluss jetzt mit der ganzen Scheiße!», sagt Cord und nimmt sie in den Arm.

26.   Die schönste Beerdigung der Welt
    Ich fühle mich etwas beklommen, als ich mich in geliehenem schwarzem Anzug und schwarzem Schlips dem Reetdachhaus von Dr.   Behnke nähere, denn ich weiß, dass Johannes da drinnen im offenen Sarg aufgebahrt ist. Vielleicht ist es eine Frage der Gewohnheit, und in anderen Ländern ist das ganz normal. Aber ich wohne nun mal hier. In Hamburg habe ich mal einen rumänischen Maler kennengelernt, der mir von einem Herrn Pascu aus seinem Dorf erzählt hat. Den hatte man nach seinem Tod im Sommer unter einem Mirabellenbaum aufgebahrt, und das ganze Dorf kam und nahm Abschied von ihm. Seitdem habe ich Angst, dass ich aus irgendwelchen Gründen mal nach Rumänien muss, denn in meiner Phantasie muss man in den Vorgärten dort immer mit einer Leiche rechnen.
    Hoffentlich wird mir nicht schlecht.
    Maria geht neben mir, sie trägt einen eleganten schwarzen Sommermantel, eine schwarze Strumpfhose und schwarze Ballerinas. Schön, dass sie da ist, generell, aber auch gerade jetzt. Ich halte ihr die Tür zum verkachelten Vorraum auf. Als ich das Wartezimmer betrete, muss ich mehrmals kurz hintereinander schlucken. Im Herdfeuer knacken ein paar glühende Scheite. Regina hat den Raum wunderbargeschmückt; es gibt an einigen Stellen Blumen, aber nicht zu viele. Anstelle von Behnkes Urlaubsfotos aus Italien hat sie Bilder aus Johannes’ Haus aufgehängt, die Oma und Johannes glücklich im russischen Schnee zeigen.
    Vorsichtig blicke ich zum Sarg. Johannes sieht aus, als ob er schliefe.
    Es ist überhaupt nicht ekelig, sondern sehr würdevoll.
    Links neben dem Sarg ist ein schlichtes Blumengesteck aufgestellt, rechts davor steht ein großer Flachbildfernseher. Die Liegestühle hat Regina entfernt, denn im Liegen kann man wirklich nicht trauern. Stattdessen sitzen wir auf soliden Holzstühlen aus der Boldixumer Kirche, die Arne mit seinem V W-Bus angekarrt hat. Meine Mutter ließ verlauten, dass sie auf einer wichtigen Fortbildung im Allgäu sei und nicht kommen könne. Sei’s drum. Außer ihr sind alle Riewerts anwesend und sitzen stumm in der ersten Reihe um Johannes herum: Arne, Cord, Regina, ihr Mann Holger und John. Rechts neben mir sitzt Maria, links Oma. Christa ist da, Dr.   Behnke in einem dunkelblauen Anzug, der über seinem Bauch spannt, drei alte russische Kollegen von Johannes, die alle riesige klotzige Brillen aus der Sowjetzeit tragen und kaum ein Wort Deutsch sprechen; die blonde Pflegerin aus Amrum; zwei ältere Männer und eine jüngere Frau, die sich als Mitarbeiterin der Telefonseelsorge aus Kiel vorstellt. Johannes war in seiner Familie der Nachkömmling, seine Verwandtschaft ist bereits weggestorben, daher sind nur seine zwei etwa sechzigjährigen Neffen erschienen. Etwas entfernt stehen Bestattungsunternehmer Hansen und vier Träger.
     
    Es ist ungewöhnlich, um einen Menschen zu trauern, den man gar nicht kennt. Aber Johannes ist uns allen auf unerklärliche Weise nahegekommen, denn durch ihn haben wir erst wieder zueinandergefunden. Allein dafür sind wir ihm diesen Abschied schuldig.
    Jetzt erhebt sich Oma und stellt sich vor die Trauergemeinde. Ich bewundere sie dafür, wie gefasst sie ist. So weit möchte ich auch mal kommen.
    «Viele von euch haben Johannes nicht richtig kennengelernt», hebt sie an, «deswegen möchte ich euch gern ein Video zeigen.»
    Sie nickt John zu, der die Fernbedienung betätigt und nun einen Film abspielt, den er kurz vor der Trauerfeier aus Omas Aufnahmen auf seinem PC zu einem kurzen Video zusammengeschnitten hat, sehr professionell, mit weichen Überblendungen und sauberem Ton.
    Am Anfang sehen wir die Laeiszhalle in Hamburg, wo vor allem Sinfoniekonzerte stattfinden. Im Publikum sitzt nur eine Zuschauerin: Oma! Auf der großen,
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