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Oma ihr klein Häuschen

Oma ihr klein Häuschen

Titel: Oma ihr klein Häuschen
Autoren: Janne Mommsen
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beleuchteten Bühne steht ein Steinway-Konzertflügel, der an die drei Meter lang ist. Ein Pianist im Frack stellt sich vor den Flügel und verbeugt sich: Es ist Johannes, mit schlohweißer Mähne. Er hat wirklich ein bisschen Ähnlichkeit mit Einstein! Oma klatscht wie wild und wirft ihm Kusshände zu, während Johannes seine Frackschürze über die Klavierbank wirft und jetzt richtig loslegt. Erst versucht er sich an der
Mondscheinsonate
von Beethoven, aber nur am ersten Satz, der sehr langsam ist, dann folgt etwas Leichtes von Mozart, das übergeht in eine wilde Boogie-Improvisation. Er verspielt sich andauernd, aber es kümmert ihn kein Stück. Sein Gesicht ist ganz ernst, er wirkt wie ein richtiger Konzertpianist.
    Ich gebe John ein Zeichen, Bild und Ton auszublenden.«Johannes hatte die Halle zu unserem dreißigsten Jahrestag nur für uns gemietet», erzählt Oma unter Tränen. «Es war das schönste Konzert meines Lebens.»
    Alle Blicke gehen auf den offenen Sarg und das ruhende Antlitz von Johannes. Mir scheint es fast, als hätte der Film ein unmerkliches Lächeln in sein Gesicht gezaubert.
    «Es gibt noch einen Ausschnitt, den wir rausgesucht haben und der John und mich auf besondere Art berührt hat», sage ich und gebe John erneut ein Zeichen.
    Das Video zeigt Johannes in einem Hotelzimmer vor einem riesigen Bett. Er ist alleine dort, offensichtlich hat er die Kamera selbst aufgestellt und wendet sich nun an Oma: «Liebe Imke, ich bin alleine in diesem pompösen Hotel in Kiew. Schade, dass du nicht hier bist, um mit mir in diesem monströsen Bett zu nächtigen. Ich habe erst jetzt, mit zweiundsiebzig Jahren, etwas Wunderbares entdeckt, was mir riesigen Spaß bereitet.» Er stellt sich auf das Fußende des Bettes, schaut einen Moment ernst in die Kamera – und lässt sich dann kerzengerade nach hinten fallen. Man sieht seinen Körper kurz hochfedern, dann steht er lachend wieder auf. «Nochmal!», kündigt er an, stellt sich hin und lässt sich erneut nach hinten fallen.
    Diese Episode löst in der Trauergesellschaft eine befreiende Heiterkeit aus. John und ich haben stundenlang in Reginas Wohnung gesessen und Filme von Johannes und Oma geguckt. Je mehr ich gesehen habe, desto mehr habe ich bedauert, diesen Mann nicht besser gekannt zu haben.
    Jetzt steht Regina auf und liest ein Gedicht vor:
    Wir sind die Treibenden
    Aber den Schritt der Zeit
    Nehmt ihn als Kleinigkeit
    Im immer Bleibenden
.
    Das ist nicht von ihr, sondern von Rilke – und äußerst passend, wie ich finde.
    Dann stellt sich Oma vor den Sarg.
    Alle erheben sich.
    Oma betet laut das Vaterunser.
    Anschließend gibt sie Hansen mit dem Kopf ein Zeichen.
    Der Bestatter und seine Leute treten an und verschließen den Sarg mit einem Deckel. Dann tragen sie ihn durch einen Seiteneingang aus der Arztpraxis hinaus.
    Maria und ich werfen uns einen kurzen Blick zu und nehmen Oma dann in die Mitte.
    Die anderen Trauergäste folgen mit langsamen Schritten. Draußen wartet bereits ein blankgeputzter Leichenwagen mit offener Heckklappe. Jetzt macht Maria sich kurz von Oma los und redet ein paar Worte mit Hansen. Ich bekomme nur mit, dass sie darauf besteht, die Heckklappe offen zu lassen. Hansen windet sich. Es sei verboten, einen Sarg zu zeigen, das gelte in Deutschland als Erregung öffentlichen Ärgernisses. Aber Maria nimmt das auf ihre Kappe: «Lass das meine Sorge sein.»
    Ihr Tonfall lässt keine Zweifel zu. Der Wagen fährt langsam an – mit offener Klappe.
    Wir schreiten hinterher.
    Oma hat sich fest bei mir und Maria eingehakt, wir sind die Ersten im Trauerzug. Hinter uns gehen Arne und Cord, als Nächste folgt Regina mit Holger und John, dann Christa neben Dr.   Behnke und anschließend Johannes’ Neffen und seine russischen Kollegen mit den altmodischen Brillen, dann alle anderen. Es war ausdrücklicher Wunsch von Johannes, noch einmal durch Wyk gefahren zu werden, am Haus seiner geliebten Imke vorbei.
    Zuerst geht es gemessenen Schrittes durch leere Wohnstraßen.Als wir uns aber dem Sandwall nähern, ertönt laut die Musik aus der Kurmuschel. Die russische Sängerin feiert gerade die Stadt New York in den höchsten Tönen:
I’m gonna make a brand new start of it – in old New York
.
    Die Zuhörer klatschen begeistert mit.
    Als wir bei Omas Haus langsam um die Ecke biegen, bricht die Musik abrupt im Chaos zusammen.
    Die Sängerin hat den Leichenwagen gesehen und abgewinkt, sodass die Zuhörer sich verwirrt umdrehen und anfangen zu
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