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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf
Autoren: Janne Mommsen
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alleine fliegst, und es passiert was, wächst unser Kind ohne Vater auf. Auch nicht schön.»
    «Also alle oder keiner?»
    Oma deutete jetzt auf eine Holzleiste neben dem Tresen, an der zwei Dutzend abgeschnittene Schlipse hingen.
    «Was ist das?», fragte sie Thies.
    «Eine alte Fliegertradition. Nach dem dritten Alleinflug ohne Lehrer wird dem Piloten der Schlips abgeschnitten.»
    «Ich hoffe, das haben Sie lange hinter sich!»
    «Keine Sorge.» Thies verschwand kurz, um die letzten Vorkehrungen für den Flug zu treffen.
     
    Regina drückte ihre Mutter zum Abschied fest an sich. «Mama, alles Gute, Mast- und Schotbruch.» Sie überreichte ihr ein Lunchpaket in einer Tupperdose, was reichlich übertrieben war, denn sie flog ja nicht nach Australien, sondern nur eine Runde übers Wattenmeer.
    Auf die Tupperdose verzichtete Imke lieber: «Das ist lieb gemeint, Reginchen, aber ich esse das lieber hinterher. Ich bin froh, wenn mein Magen den Flug ohne Probleme übersteht.» Sie zeigte Regina eine Spucktüte, die sie sich in die Brusttasche ihres Overalls gesteckt hatte.
    Arne umarmte seine Mutter ebenfalls. «Ich wollte nicht mit», gestand er verlegen. «Das Wasser hat zwar keine Planken, aber die Luft irgendwie noch weniger.»
    «Ich wusste gar nicht, was ihr alle für Memmen seid», rief Imke und lachte ihnen ins Gesicht. Der bevorstehende Flug versetzte sie in Hochstimmung. Das sei das schönste Geburtstagsgeschenk ihres Lebens gewesen, betonte sie immer wieder. Auch Ocke und Christa verabschiedeten sie mit Küsschen auf die Wange. Thies schlurfte nun lässig an den Tisch und baute sich schlecht gelaunt vor Sönke, Oma und Maria auf.
    «Die Maschine ist betankt, es kann losgehen», nölte er freundlich.
    «Mensch, Maria, und du willst wirklich mit?», sorgte sich Imke.
    «Was soll denn passieren, Oma?»
    Regina machte ein letztes Foto mit ihrem Handy von ihrer Mutter, dann stand Imke auf und hakte sich bei Maria und Sönke unter. Langsam gingen sie auf das Flugfeld zu der Cessna.
    «Das Wetter könnte besser sein», warnte Thies, «der Wind liegt heute bei fünf bis sechs, es kann also etwas wacklig werden.»
    Oma winkte ab: «Vollkommen egal, wenigstens scheint die Sonne.»
    Sie bestand darauf, hinten bei Sönke sitzen zu dürfen. Es war gar nicht so leicht, sie in die Maschine zu hieven. Sönke legte ihr den Bauchgurt um und schnallte sich selbst an. Einen Moment zögerte er. Oma sah zwar zu allem entschlossen, aber doch etwas blass aus. Hoffentlich übernahm sie sich nicht. Doch da startete Thies bereits den Motor, der überraschend laut war. Maria drehte sich lächelnd nach hinten und hob den Daumen. Thies verteilte Kopfhörer mit eingebauten Mikrophonen an alle, sodass sie sich trotz des Motorenlärms verständigen konnten, nur Oma lehnte ab.
    Langsam lenkte Thies die C- 172 auf dem unebenen Rasen auf Startposition und bat beim Tower um Starterlaubnis.
    «Geit klor», rief der Fluglotse über Funk. Das lief vom Tonfall hier etwas lockerer ab als auf den großen Verkehrsflughäfen.
    Dann tauschte Thies noch in schlechtem Englisch irgendwelche Zahlen mit dem Tower aus. Plötzlich schoss die Cessna mit aufheulendem Motor nach vorn und rumpelte über den unebenen Rasen, was für Sönke gewöhnungsbedürftig war. Es dauerte ewig, bis die kleine Maschine Fahrt aufnahm: Würde sie den Weg über die Baumwipfel schaffen? Er vergewisserte sich kurz bei Thies, dass alles in Ordnung war.
    Statt einer Antwort hoben sie ab.
    Als sie gerade über Baumhöhe waren, erfasste eine starke Seitenböe das Flugzeug und ließ es nach Steuerbord über den Golfplatz abdriften, Thies korrigierte ruckartig mit dem Steuerknüppel nach, die Maschine wurde kräftig durchgerüttelt. Oma lachte nur darüber und schaute begeistert durch das Seitenfenster nach unten. Föhr lag wie eine satte, grüne Perle im Wattenmeer, eingefasst und beschützt von Amrum und Sylt. Der Kirchturm von St. Johannis in Nieblum war deutlich zu erkennen, die bunten Strandkörbe in Utersum, das Nordseewasser, das Föhr umgab, glitzerte fast überirdisch in der Sonne, Seehunde lümmelten sich auf den Sandbänken. Thies zog die Maschine langsam weiter hoch und steuerte Richtung offene See, das Flugzeug lag nun viel ruhiger in der Luft.
    Sönke drehte sich um zum Leuchtturm von Hörnum. Zwischen den Inseln und Halligen lagen unzählige Priele, die sich gerade mit frischem Wasser füllten. Selbst von hier oben konnte man die reißende Strömung erahnen. Im Watt waren die
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