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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf
Autoren: Janne Mommsen
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leuchtenden Augen.
    «Ab jetzt kommen seine Mieter täglich in seine Praxis», sagte Ocke.
    Christa nickte begeistert: «Als lebendes Mahnmal.»
    «Er wird das nicht mögen!»
    «Das hoffe ich sehr.»
    «Wir sollten Trauerkleidung dabei tragen», überlegte Imke. «Das kommt noch besser.»
    «Wieso das?», wunderte sich Ocke.
    «Bist du
nicht
in tiefer Trauer, weil wir das Dach überm Kopf verlieren?», fragte Imke zurück.
    «Die Idee ist ja nicht schlecht, aber wir haben Sommer, so ein schwarzer Schlips bringt mich um», nörgelte er.
    «Deinen schwarzen Anzug hast du beim Ständchen für mich auch überlebt», säuselte Christa. «Er steht dir außerdem hervorragend.»
    Ihm wurde ganz warm. Christa sprach das erste Mal über sein Ständchen! War das ein Zeichen?
    «Wir müssen uns noch Krankheiten ausdenken», stotterte er.
    «Das muss ich zum Glück nicht», freute sich Imke, «Altersschwäche, Tüddeligkeit, zu niedriger Blutdruck, Schwindel, das sollte genügen.»
    «Es muss etwas Akutes sein, damit er uns nicht zurückweisen kann», meinte Ocke.
    «Ich bin leider kerngesund», klagte Christa.
    … und traumschön, ergänzte Ocke im Stillen.
    «Komm, wir gehen ins Internet», schlug Imke vor. «Irgendetwas finden wir schon.»
    Zusammen hockten sie sich vor Christas Laptop. Wie nicht anders zu erwarten, wurde im weltweiten Netz eine Vielzahl von schwer diagnostizierbaren Krankheiten beschrieben, die Petersen einiges abverlangen würden. Wie auf einem Basar begannen sie auszuhandeln, wer von ihnen bei Petersen welches Leiden angab. Eigentlich hatten Christa und Ocke beschlossen, die Sache allein durchzuziehen, aber Imke bestand darauf, mitzukommen. Mit Christa und Ocke an ihrer Seite sei sie bestens beschützt. Andernfalls müsste Christa mit ihr zu Hause bleiben. Außerdem: Wo wäre sie im Falle eines Falles besser aufgehoben als in einer Arztpraxis?
     
    Der Pladdäreeg’n hielt sich hartnäckig. Als Ocke, Christa und Imke in schwarzer Kleidung zu Ockes Taxi gingen, sahen sie aus wie ein Trauerzug. Ein älterer Spaziergänger, der zufällig an ihrem Haus vorbei Richtung Deich ging, kondolierte, indem er kurz seine Mütze abnahm. Das nahmen sie als gutes Omen: die Kostümierung funktionierte.
    Imke, die hinten saß, schloss auf der Fahrt sofort die Augen, während Ocke und Christa in stillem Einvernehmen vorne saßen. Vor Petersens Praxis in Wyk hielt er an. Das Gebäude war nichts Besonderes, es sah so aus, als hätte es sich jemand in den siebziger Jahren aus einem Standardhaus-Katalog bestellt.
    Ocke ging als Erster hinein. Ihn kannte Petersen am besten, denn er hatte damals den Mietvertrag unterschrieben. Im Treppenhaus strömte ihm ein starker Geruch nach Lavendel entgegen; woher der wohl kam? Ein bisschen nervös war er schon, als er an der Tür klingelte. Immerhin würde er gleich seinem zwanzig Jahre jüngeren Rivalen gegenüberstehen. Die Geschichte zwischen Christa und Petersen war zwar offiziell vorbei, aber woher sollte er wissen, ob sie nicht immer noch Gefühle für ihn hatte? Da fiel ihm Kohfahls Tipp ein: «Wenn Sie nervös sind, versuchen Sie sich vorzustellen, dass seine Füße ekelig riechen.»
    In den Praxisräumen musste sich Ocke erst einmal an die Helligkeit gewöhnen. Während draußen tiefschwarze Wolken ihre feuchte Last ausschütteten, blendete Ocke hier drinnen ein grelles Weiß von Wänden, Möbeln und unzähligen Neonlampen.
    «Moin, Ocke», grüßte Gaby.
    «Moin, Gaby, hü gongt et?»
    «Schietwetter.»
    Der Regen schlug laut gegen die Scheiben.
    «Och, das wird wieder.»
    In diesem Augenblick bog Dr. Petersen um die Ecke. Bei Ockes Anblick verzog er das Gesicht. «Wenn Sie mich privat sprechen wollen – ich habe keine Zeit.»
    Gaby sah erst Ocke, dann ihren Chef erstaunt an.
    «Ich bitte um medizinische Behandlung», sagte Ocke ruhig.
    «Vergessen Sie’s.»
    Ocke zückte ein Handy und drückte auf eine Kurzwahltaste, die er vorher eingespeichert hatte. «Wie Sie wollen, Herr Dr. Petersen.»
    Der Angesprochene lief leicht rot an. «Handy ist hier streng verboten», blökte er.
    «Kein Problem.» Ocke ging vor die Tür und kam nach ungefähr zwanzig Sekunden wieder.
    «Soll ich die Polizei rufen, damit Sie endlich abhauen?», rief Petersen.
    Jetzt kam die Sprechstundenhilfe mit dem schnurlosen Telefon von der Rezeption zu ihrem Chef und hielt es ihm hin.
    «Herr Dr. Petersen …»
    «Jetzt nicht!»
    Gaby wich keinen Schritt zurück: «Es ist aber wichtig.»
    «Haben Sie
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