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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf
Autoren: Janne Mommsen
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den Flur, ihr Gehör war immer noch gut. Tatsächlich, aus dem Zimmer ihrer gemeinsamen Mitbewohnerin Christa vernahm sie ein Stöhnen, genauer gesagt stöhnte dort ein Mann, und zwar ziemlich lustvoll. Dann war es wieder still.
    «Christa hat Herrenbesuch», stellte sie ungerührt fest.
    Deswegen holte sie Ocke aus dem Bett?
    «Der Typ hört sich einiges jünger an», raunte er. Vor Aufregung war aus seinem Flüstern normale Zimmerlautstärke geworden.
    Imke verstand das Problem nicht: «Es scheint ihr doch gut zu gehen.»
    Christa war die Jüngste in ihrer Dreier- WG , sie wurde meist auf Anfang fünfzig geschätzt. Ihr wirkliches Alter hielt sie seit Jahren streng geheim. Imke kannte es, hätte es aber nicht einmal unter Todesandrohung verraten.
    «Ich will verdammt noch mal wissen, wer unter unserem Dach pennt», zischte Ocke. «Das kann sonst wer sein!»
    Imke war empört. Sie waren hier nicht in einem Heim, sondern in einer Wohngemeinschaft, und jeder konnte tun und lassen, was er wollte. Andererseits musste sie zugeben, dass ihr ein Fremder in der eigenen Wohnung auch ein bisschen unheimlich war.
    «Lass uns nachschauen», schlug Ocke vor.
    «Bist du verrückt?»
    «Nur mal ’n büschen luschern.»
    Ocke schloss die Tür zum Flur und huschte durch Imkes Zimmer zur Terrasse. Während sie betete, dass er im Dunkeln nicht auf ihre Zähne trat, folgte sie ihm hinaus.
    Draußen herrschten nicht gerade Pyjamatemperaturen. In der Nacht war die Luft noch erheblich kühler als am Tag.
    Vor einigen Jahrhunderten hatte Föhr noch zum Festland gehört, bis eine riesige Sturmflut weite Teile des Landes auseinandergerissen hatte. Föhr war als Inselvorposten weit draußen zurückgeblieben. Hier traf der Wind, der direkt aus Island kam, nach dem langen Weg übers Meer das erste Mal auf festen Boden. Die See gab niemals Ruhe, sie versuchte unablässig, den Fremdkörper in seinem Terrain zu vereinnahmen. Allein durch den mächtigen Deich hinter ihrem Haus fühlte sich Imke gut beschützt, ohne ihn wäre der Boden unter ihr längst eine Sandbank, das war ihr, wie allen Insulanern, immer bewusst.
    Die feuchte Kälte kroch ihr unangenehm an den Beinen hoch. Vorsichtig schaute sie um die Hausecke. Christas Zimmer lag zur Straße hin. Ihr Fenster war weit geöffnet, die Deckenlampe warf ein helles Lichttrapez auf die Büsche des winzigen Vorgartens. Plötzlich kletterte ein Mann aus dem Fenster, den man im Dunkeln nicht erkennen konnte, ein großer schwarzer Hund sprang hinterher.
    Wieso nahm der nicht die Haustür?
    Mann und Hund verschwanden in einem schwarzen Geländewagen, der direkt hinter Ockes altem Mercedes-Taxi parkte.
    « NF - SP 23 », nuschelte Ocke, als sei er Polizeifahnder und spreche in ein Funkgerät. Als der Unbekannte Motor und Scheinwerfer anschaltete, wurden Ocke und Imke so hell angeleuchtet wie Schauspieler auf einer Theaterbühne. Leider war es ein grottenschlechtes Stück, das hier gespielt wurde, instinktiv hielten sie sich die Hände vor die Augen. Zum Glück drehte das Licht schnell ab und verschwand auf der Dorfstraße.
    «Mist», fluchte Ocke, «der hat uns gesehen.»
    «Mir ist kalt», Imke huschte, barfuß, wie sie war, über das feuchte Gras zurück. Ihre Zähne hätten jetzt wohl laut geklappert, wenn sie noch welche gehabt hätte. Dann trat sie auch noch auf einen spitzen Stein und quiekte vor Schmerz laut auf.
    Bloß zurück ins Bett!
    Imke rüttelte an der Terrassentür. Doch die war vom Wind zugeschlagen worden und klemmte blöderweise seit einigen Tagen, sodass sie sich nicht von außen öffnen ließ.
    «Auch das noch», stöhnte Ocke hinter ihr.
    Wie um sie zu ärgern, frischte der Wind einmal kurz und bedrohlich auf, woraufhin Imkes Blase und Nieren heftig zu protestieren begannen.
    «Ich klingele vorne», entschied sie.
    «Wie sieht das denn aus?»
    «Bevor ich mir was weghole …»
    Also gingen sie wieder ums Haus, und Imke klingelte an der Tür. Sie kam sich vor wie ein unangemeldeter Vertreter, der einem Fremden etwas verkaufen wollte, dabei stand ihr eigener Name doch auf dem Klingelschild.
    Es dauerte eine Weile, bis Christa öffnete. Sie sah verschwitzt aus, und da ihr weißer Bademantel einen winzigen Spalt geöffnet war, ahnte man, dass sie darunter nackt war. Christa starrte mit ihren klaren blauen Augen auf ihre beiden Mitbewohner.
    «Wo kommt ihr denn her?»
    Ocke sah Imke an, die wusste aber auch nichts zu sagen.
    «Wir waren am Meer», murmelte Ocke schließlich und legte den
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