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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf
Autoren: Janne Mommsen
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Tuben ins Waschbecken, stülpte die kleine Tasche nach außen, fasste hinein und nahm damit die Haare aus dem Abfluss wie Hundebesitzer den Haufen ihrer Tiere. Triumphierend schloss er die Tasche mit dem Zippverschluss. Das war wichtiges Beweismaterial, das er nicht zurückhalten würde, wenn er gleich die Terrasse enterte.
     
    An der Tür nach draußen hielt Ocke kurz inne. Christa und Imke hatten sich offenbar gerade an den Frühstückstisch gesetzt.
    «Moin, Christa, gut geschlafen?», erkundigte sich Imke mit brüchiger Stimme.
    «So gut wie lange nicht mehr», gurrte Christa durch ihre Müdigkeit hindurch. «Und selbst?»
    «Ging so.»
    «Kein Wunder, wenn du so spät noch unterwegs bist.»
    «Du siehst auch nicht gerade ausgeschlafen aus.»
    Bevor die beiden auf Details der letzten Nacht zu sprechen kamen, gab Ocke sich einen Ruck und schoss durch die Tür.
    «Moin!»
    Im hellen Sonnenlicht musste er sich erst einmal orientieren. Der Tisch war mit allem gedeckt, was er gerne mochte: Brötchen, Marmelade, Käse, Wurst, Ei und Kaffee. Imke lackierte sich gerade die Zehennägel neongrün, was für ihn am Frühstückstisch eigentlich gar nicht ging. Anstatt einzuschreiten, saß Christa im Bademantel daneben und biss ungerührt in ein Krabbenbrötchen. Er musste sich eingestehen, dass sie mit ihren strahlend blauen Augen und den hohen Wangenknochen auch ungeschminkt wunderbar aussah. Ihre schulterlangen Haare wurden vom warmen Wind in alle Richtungen gewirbelt.
    «Ocke!», riefen Christa und Imke wie aus einem Munde und rissen ihn aus seinen Gedanken.
    «Hast du noch was vor?», erkundigte sich Christa begeistert.
    «Wieso?», grummelte er, ohne seine Mitbewohnerinnen anzuschauen.
    «Na, du hast dich so aufgebrezelt.»
    «Nicht gut?», fragte er mürrisch.
    «Doch, klasse!», bestätigte Imke.
    Auch Christa strahlte: «Steht dir hervorragend!»
    Ocke nickte geschmeichelt, doch dann fiel ihm auf, dass die beiden gar keinen Kommentar zu seinem Plakat abgegeben hatten. Imke und Christa konnten die Staffelei in der Küche wohl kaum übersehen haben. Wie auch immer, er war bestens vorbereitet, in seiner Gesäßtasche steckte die Tüte mit den Haaren, die er im Duschabfluss gesichert hatte.
    «Was ist denn nun mit morgen, Imke?», erkundigte sich Christa. «Wir müssen uns dringend noch ein paar Gedanken machen.» Für Imkes achtundsiebzigsten Geburtstag am nächsten Tag waren über hundert Gäste eingeladen worden.
    «Am liebsten wäre mir eine altmodische Siebziger-Jahre-Party», seufzte Imke, während sie ihren rechten großen Zeh ausmalte. «Das war so eine schöne Zeit!»
    Ocke wusste, worauf Imke anspielte: Damals hatte sie, verheiratet und Mutter von vier Kindern, Johannes von der Nachbarinsel Amrum kennengelernt, der für Jahrzehnte ihr heimlicher Geliebter wurde und vor zwei Jahren verstorben war. Ocke war einer der wenigen, die sie eingeweiht hatte.
    «Wir haben Attika geraucht», schwelgte Imke. «Die gab es in einer grünen Packung.»
    Christa nickte. «Erinnert ihr euch noch an Ata-Scheuerpulver? Heute würde man das Zeugs wahrscheinlich als chemischen Kampfstoff einstufen.»
    «Gerochen hat es damals schon so», sagte Ocke.
    Christa schaute Imke begeistert an. «Wir sollten Glitzeranzüge und Plateauschuhe tragen!»
    «Ich komme als Einheimischer», grummelte Ocke. Da musste er sich wenigstens nicht verkleiden, er war nicht gerade ein begeisterter Anhänger des Karnevals.
    Imke fuchtelte mit ihrem Brötchen in der Hand herum. «Heute feiern die Leute so, als ob sie alle schwer krank sind, mit Gemüsedips und Tofu-Frikadellen. Ich möchte, dass wir mal wieder eine rauchen, und es soll Unmengen von Cholesterin geben. Außerdem soll schwer getrunken werden – so wie früher, als noch
richtig
gefeiert wurde.»
    «Und was hast du noch für Wünsche?», erkundigte sich Ocke. Immerhin mussten er und Christa das Ganze vorbereiten.
    «Ich mache eine Weißwein-Bowle.»
    Christa verschluckte sich vor Lachen fast an ihrem Brötchen: «Eine Bowle? Das Wort habe ich Jahrzehnte nicht gehört.»
    Imke schob Ocke ein Glas mit eingeweckten Erdbeeren hin. «Kannst du das mal aufmachen?»
    Ocke drückte die Metallbügel nach unten, dann sprang der Deckel auf. Eine schwere Duftwolke aus süßem Alkohol waberte in seine Nase.
    «Probier mal», forderte Imke ihn auf.
    Er nahm einen kleinen Löffel und kostete eine Spitze. Imke und Christa warteten gespannt auf sein Urteil.
    Das Zeug schmeckte genau so, wie es roch.
    «Ich bin ja
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