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Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Titel: Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman
Autoren: dtv
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kurzen Bemerkungen entnahm Oleg, dassNadja in ständiger Unruhe war wegen all der Schwierigkeiten, die sie erwarteten. Es würde ein gewagtes Unternehmen werden. Doch beherzt und entschlossen stapfte er neben Nadja weiter. Sie wollten etwas tun, was niemand gutheißen würde. Das begriff Oleg sehr gut. Aber sie mussten Essen beschaffen. Serjoscha hatte es doch gesagt!
    Sie kamen an einer Gruppe von Kindern vorüber, die Krieg spielten. Aus Steinen von einem eingestürzten Haus hatten sie eine Festung gebaut. Ihre aufgeregten Stimmen hallten durch die Straße.
    »Ihr seid die Deutschen und wir die Russen!«
    »Nein, wir sind die Russen!« Sie stritten sich schon, ehe ihr Krieg noch begonnen hatte. Oleg konnte verstehen, dass keins der Kinder ein Deutscher sein wollte. Nadja und Oleg kamen nur an wenigen Läden vorbei, die noch geöffnet waren. Davor standen lange Schlangen geduldig wartender Menschen. Auch Anschlagtafeln sahen sie, auf denen Worte standen, die den Leningrader Bürgern Mut zusprachen oder sie warnten, weil irgendwo ein Blindgänger lag.
    Die beiden waren schon nahe am Stadtrand, als ein Soldat sie anhielt. »He, ihr da!«
    Oleg klopfte plötzlich das Herz wild in der Kehle. Auch Nadja war erschrocken. Sie hatte Olegs Hand losgelassen und presste die Arme an die Brust.
    »Wisst ihr, wo die Barowstraße ist?«
    Oleg sah Nadja hilflos an. Von der Barowstraße hatte er noch niemals gehört. Ob der Soldat sie zurückschickte, wenn er entdeckte, dass sie gar nicht aus diesem Viertel waren?
    Nadja schluckte. Dann sah sie dem Soldaten fest in die Augen. »Sie müssen hier ein Stück geradeaus, dann die zweite Straße links gehen. Dort müssen Sie noch einmal fragen.«
    »Danke schön«, sagte der Soldat. Dann ging er in der Richtung davon, die Nadja ihm gezeigt hatte.
    »Komm schnell weiter!« Nadjas Stimme klang auf einmal hart und ihr Gesicht wirkte verbissen. Oleg begriff nicht, was plötzlich mit ihr los war. Aber er fragte nicht, obwohl er merkte, dass sie sich alle paar Meter umsah.
    »Ich weiß nicht, wo die Barowstraße ist«, sagte Nadja nach einer Weile. »Ich habe nur irgendetwas gesagt.« Das war es also. Jetzt war es Oleg, der Nadja kurz die Hand drückte, um ihr zu zeigen, dass er sie gut verstand. Zum Glück lächelte sie danach wieder.
    »Ich bin froh, dass du mitgekommen bist«, sagte sie. »Ich auch«, erwiderte Oleg. Unterwegs hatte er ausgerechnet, wie viel Kartoffeln sie tragen konnten. Mit ein wenig Glück würden er und seine Mutter einen Monat lang davon leben können.
    Sie hatten den Stadtrand erreicht. Stacheldrahtverhaue . . . Panzer . . . Frauen, die Bunker mauerten und Befestigungen aus Trümmerschutt aufwarfen. Die Häuser wirkten hohl und leer in ihrer Verlassenheit, von Bomben und Granaten verstümmelt. Was war aus den Menschen geworden, die früher hier gewohnt hatten?
    Die beiden kletterten jetzt über Schutthaufen. Da fielen sie weniger auf. Am Ende der Straße standen Wachtposten. Die letzte Häuserreihe: Steine, Stahlkonstruktionen,Balken, Glas, alles lag aufgehäuft zwischen noch aufrecht stehenden Mauern.
    »Dort müssen wir hin!«, flüsterte Nadja und zeigte auf eine weite Fläche mit Schutthaufen, Sandhügeln, Granattrichtern, halb zugedeckt von einer dünnen Schneeschicht. Auf einem schiefen Wegweiser stand der Name der Stadt Nowgorod. In der Ferne sah Oleg die Stellungen russischer Soldaten.
    »Komm schnell!«, sagte Nadja. So rasch sie konnten, liefen sie im Zickzack um die Trichter und Trümmerhaufen. Olegs Herz klopfte wieder ungestüm. Denn Nadja lief gebückt, halb schleichend. Er begriff, dass sie von jetzt an nicht mehr gesehen werden durften.

5
    »Jetzt keinen Laut mehr!«, flüsterte Nadja. Sie hockten in einem Granattrichter, dicht am Ufer eines kleinen Flusses, der zugefroren zwischen zwei hohen Dämmen lag. Hundert Meter waren die russischen Stellungen entfernt. Dort hielten die Soldaten Wache bei ihren Kanonen, Granatwerfern und Maschinengewehren.
    Nadja verfolgte aufmerksam die Bewegungen der Soldaten und spähte wachsam nach allen Seiten. Dann tippte sie Oleg auf die Schulter. »Jetzt!«
    Sie kletterten aus dem Trichter, machten sich so kleinwie möglich und rannten das letzte Stück zum Fluss hinüber. Gleitend, manchmal rutschend, ließen sie sich das ziemlich steile Ufer hinab. Jetzt konnten die Soldaten sie nicht mehr sehen. Nun begriff Oleg auch, wie sie ungesehen in das Vorfeld gelangen konnten. Sie brauchten nur dem Flussbett zu folgen. Das
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