Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
Vom Netzwerk:
Inneren des Pürierstabs so mit dem Einschalter zu verbinden, daß auf dem Knopf Strom fließt, ist ein Leichtes. Strom durch den Knopf durchzuleiten, ist ein Leichtes, man muß nur ein wenig mit dem Messer an seiner billigen Plastikabdeckung kratzen.
    Minsk ist keine Stadt der Sehnsucht, hörte ich Marya sagen.
    Nein, das ist es nicht. Es ist nicht Moskau, nicht Petersburg, nicht Lissabon, Florenz, Rom, Paris, London, Brügge, Rio & Co., dies durch und durch verblödete Behaglichkeits-Repertoire und -Reservoir von Weltschmerz-Repositorien und -Suppositorien einer erbarmenswerten Literatur. Minsk ist keine beschissene Stadt der Sehnsucht. Deshalb liegt rechts von mir: das Messer, die Zange. Und zu meiner Linken: Draht, Draht zu meiner Linken. Die Elektrokution wird wie ein bedauerlicher, wie ein bescheuerter Unfall wirken. Alezja liebtes, nach Asche zu riechen. Und ich habe ihn einmal geliebt, den Geruch von Asche an ihr, in ihrem Haar.
    Um 20 Uhr verließ ich meine Wohnung.
    Wie lang ein Tag sein kann.
    Und wie kurz, wenn es der letzte ist.
    Begleitet vom Bellen der blöden Töle aus dem vierten Stock, die ihr Herrchen am Ton der Auto-Zentralverriegelung erkennt, zog ich Tatsianas Haustür um 21:27 Uhr hinter mir zu. Auch wenn es nichts bringt. Das Türschloß schließt nicht. Das Haus steht immer offen.
    Zurück in meiner Wohnung war es saukalt. Ich drehte die Heizung höher. Die Gasleitung summte. Ich öffnete den Verschluß der ersten Wodkaflasche.
    Minsk ist eine Stadt der Sehnsucht.
    Ein auf Vibration geschaltetes Handy tanzt wie verrückt auf einem Glastisch, der ganze Tisch vibriert. Niemand geht ran. Niemand scheint zuhause zu sein.
    In der Nacht träumte ich von Sex mit einem seltsamen Zwitterwesen, halb Frau, halb Tier. Sie ritt mich, aber ich kam und kam nicht. Ich erwachte mit steifem Glied.
    Ich lag im Bett. Der Restalkohol ließ mich wie in einer Retorte eingesperrt atmen. Mein Leben in vitro.
    Ich bin nicht da, einfach nicht da.
    Es war kurz vor halb neun, als ich aufstand. Vor dem Spiegel fuhr ich mir mit den Handinnenflächen über die Wangen, hinterließ rote Flecken. Auf der Hand. Im Gesicht. Ich trank einen Schluck Wodka. Gegen den Kater. »Strafschnaps« nannte ihn Gábor, den ersten Schluck am nächsten Morgen. Ich betätigte die Schnellwahl auf dem Handy.
    Sie haben – zwei – Nachrichten auf Ihrer Mailbox.
    Erste Nachricht. Gestern, zweiundzwanzig Uhr zwölf.
    Ahoi, Wasja, bin doch schon wieder zurück. Ich kann für Stas nichts tun, die werden ihn erstmal dabehalten, wenigstens einen Monat lang. Er scheint total entspannt damit, ich bin – ich weiß gar nicht, was ich bin, ich habe Angst, ich bin genervt, ich … Ja, und Brest ist sauteuer, noch eine Nacht hätte ich mir gar nicht leisten können. Ich melde mich morgen nochmal. Muß jetzt unbedingt schlafen. Oh Scheiße, ich seh gerade: Lesjas Röcke liegen hier rum. Hoffentlich kommt sie nicht vor morgen mittag zurück. Nacht, Wasja, Kuß.
    Ich starrte auf das Display. Spürte, wie sich die Haare an meinem Arm aufrichteten. Meine Hand zitterte leise, als ich die Taste drückte, die zur nächsten Nachricht springen ließ.
    Zweite Nachricht. Heute, sieben Uhr vierunddreißig.
    Scheiße, Wasja. Tanja liegt im Krankenhaus. Künstliches Koma. Sie sagen, sie hat nur überlebt, weil sie Rechtshänderin ist. Sie sagen, daß das aber wahrscheinlich nichts hilft, weil ihr Gehirn kaputt ist. Ich hab sie gefunden heute morgen. Ich hab sie gefunden. Sie hat Bananen für mich püriert, Wasja.
    Alezjas Stimme pausierte. Ich hörte das Schnappen eines Metallfeuerzeugs. Einatmen. Husten.
    Ich weiß, daß du das warst, du Drecksau. Ich weiß nicht genau, wie du das gemacht hast, ich weiß nicht einmal, wann du es gemacht hast, aber ich weiß, daß du das warst. Und ich weiß, daß das für mich bestimmt war. Das hättest du nicht tun dürfen, Wasja. Ich geh zur Polizei, ich erzähl denen, daß du uns die ganzen Jahre mißbraucht hast, sogar die Kleine, und Tanja getötet hast, um alles zu vertuschen. Ich hol Manja, und dann geh ich –
    Ich unterbrach die Nachricht, wählte die Nummer von Zuhause. Marya ging nicht ans Telefon. Ich weiß, daß sie es in den Ferien immer aussteckt. Sie steht nie vor Mittag auf.
    Der erste Zug des Tages nach Hrodna würde in vierzig Minuten fahren. Wenn ich mir bei der Schaffnerin ein Billet kaufte, könnte ich es schaffen. Mein Seesack steht immer gepackt im Schrank. »Survival-Pack« hat Tanja ihn genannt. Beim Rausgehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher