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Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall

Titel: Ohnmacht: Tannenbergs dritter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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lachend zu dieser verrückten Anmache bemerkte, bevor sie sich wieder dem Kartenverkauf zuwandte.
    Maximilian blieb noch einen Augenblick kopfschüttelnd in der Eingangshalle stehen. Dann erinnerte er sich an den eigentlichen Grund seines Erscheinens und machte sich auf die Suche nach seinem Bruder.
    Er verschwand zwar an diesem Abend aus der Aula genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war, aber er verschwand nicht aus Mariekes Leben. Denn schon am nächsten Morgen in aller Frühe erreichte sie eine SMS, in der ihr Max mitteilte, dass er die ganze Nacht über nicht geschlafen habe und sie unbedingt treffen müsse. ›Schau in den Briefkasten‹, lautete der Schlusssatz.
    Im Schlafanzug flitzte Marieke an die unten eingeschlitzte Haustür, wo auch tatsächlich ein blütenweißes Couvert lag. Schnell verschwand sie wieder in ihrem Zimmer und öffnete mit zittrigen Händen den Briefumschlag. Sie fand darin ein wunderschönes, romantisches Gedicht, von dem Max in einem kurzen Ergänzungssatz sogar behauptete, es selbst geschrieben zu haben.
    Auch Marieke hatte in dieser Nacht nur wenig Schlaf gefunden. Ruhelos hatte sie sich in ihrem Bett herumgewälzt und immer und immer wieder mit offenen Augen von ihrem Märchenprinzen geträumt, einer imaginären Projektionsfigur für ihre spätpubertären Wünsche und Sehnsüchte, die seit gestern Abend wie durch Zauberhand plötzlich Gestalt angenommen hatte.
    Zwar hatte Liebesgott Amor diese nebulöse Person anfänglich sowohl hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes als auch bezüglich der Persönlichkeitsmerkmale nur recht unscharf konturiert. Aber im Laufe der beiden letzten Jahre hatten sich die zentralen Komponenten dieses männlichen Fabelwesens immer deutlicher herauskristallisiert: Mariekes Mann fürs Leben sollte groß, dunkelhaarig, sportlich, sensibel, zärtlich, romantisch, ehrlich und treu sein – mithin alles Kriterien, die Max möglicherweise in einer Person vereinigte.
    Trotz aller emotionalen Befangenheit versuchte sie krampfhaft, Abstand zu bewahren. Sie wollte sich nicht verlieren, sich ihm nicht bedingungslos ausliefern. Ihr Kopf hämmerte ihr stetig ein, dass sie in Bezug auf die vermeintliche Ehrlichkeit und Treue des jungen Mannes äußerst skeptisch sein müsse, schließlich eilte dem Objekt ihrer Begierden der Ruf eines unverbesserlichen Casanovas voraus.
    Aber ihr Bauch setzte sich mit Vehemenz gegen diese rationalistischen Bevormundungsversuche zur Wehr. Infolgedessen gelang es ihr trotz all der ernsthaften Distanzierungsbemühungen nicht, sich seiner magischen Anziehungskraft zu entziehen. Obwohl sie von ihrem, aus neugierigen, mitfühlenden, aber auch neidischen Freundinnen bestehenden Beraterinnenstab auf das Eindringlichste vor einer Liaison mit ihm gewarnt wurde, merkte sie, dass sie, je öfter sie ihn traf, immer mehr vom Boden abhob und hinauf in den siebten Himmel schwebte.
    Aber es war eigentlich auch kein Wunder, dass Marieke auf Maximilian Heidenreich derart heftig reagierte, schließlich hob er sich extrem positiv von ihren männlichen Altersgenossen ab, die entweder affig gekünstelt oder betont cool, aufgesetzt freakig oder pseudo-souverän alle Facetten ihrer zukünftigen Männerrolle ausprobierten.
    Max dagegen hatte diese schwankungsanfällige Orientierungsphase bereits weit hinter sich gelassen und war inzwischen auch äußerlich zu einem richtigen Mann gereift: Markante Gesichtszüge, starker Bartwuchs, wunderbar herbwürziger Rasierwasserduft, muskulöser, sehniger Körper – und gleichzeitig war er in allen Belangen unglaublich zärtlich und rücksichtsvoll.
    Je länger die beiden miteinander liiert waren, umso häufiger malte sich Marieke ihre gemeinsame Zukunft aus. So beschäftigte sie sich zum Beispiel ausgiebig mit der Frage, ob sie mit ihrem Mann und den Kindern lieber in der Stadt oder auf dem Lande leben wollte. Ja, sie ließ sich sogar von Maximilian ein Babyphoto aushändigen, legte es neben ein eigenes und versuchte daraus das wahrscheinliche Aussehen des bereits fest eingeplanten mehrköpfigen Nachwuchses abzuleiten.
     
    Es war wieder einmal Samstag.
    Und somit der Tag in der Woche, an dem Wolfram Tannenbergs soziales Engagement für seine Familie, mit der er auf engstem Raum in den beiden durch den gemeinsamen Hof verbundenen Häuser im Musikerviertel der Stadt zusammenlebte, zumindest am Vormittag zentral im Vordergrund stand.
    Zwar hätte er sich selbst nicht unbedingt als aufopferungsbereiten, sich durch
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