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Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam

Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam

Titel: Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Autoren: Nelly Arnold
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tun? Mich vor ihn hinstellen und sagen: »Ich kenne dein Geheimnis!« Ich lernte also, mit dieser diffusen Angst zu leben. Manchmal jedoch versank ich in einen komischen Tagtraum: In einer dieser Vor abendsendungen im Privatfernsehen war ich zu sehen, wie ich nachdenklich durch einen Park ging, mit gesenktem Kopf. Im Off war eine dramengeschwängerte weibliche Stimme zu hören: »Evelyn F. lebte jahrzehntelang mit einem Homosexuellen zusammen …«
    »Lyn?« Christoph sah mich an. »Ich habe gefragt, ob wir heute was machen?«
    »Was meinst du mit: ›Machen wir was?‹ Wir unternehmen doch sonntags immer etwas.«
    Lustlos schob er sich das glibberige Ei in den Mund. »Ja, aber immer dasselbe. Ich meine, es ist immer die gleiche Leier, oder?«
    Erleichtert, dass er endlich zu der Erkenntnis gekommen war, Abwechslung in unsere Sonntage bringen zu wollen, sagte ich: »Du hast recht. Das sollten wir ändern.«
    Er zuckte die Schultern und murmelte: »Unser Leben hat überhaupt keinen Pep mehr.«
    Pep? Christoph benutzte nie dieses Wort. Deshalb achtete ich nicht richtig auf den beunruhigenden Inhalt seiner Äußerung, sondern wunderte mich über das Wort.
    Er legte die Gabel auf den Teller (eigentlich war es eher ein Werfen, so als hätte er keine Kraft in den Armen) und sah mir geradewegs in die Augen. »Ich bin die ganze Nacht wach gelegen.«
    »Wirklich? Vielleicht ist Vollmond, da schlafen die Menschen angeblich schlechter.« Gerade fischte ich nach einer Himbeere in meinem Quark, als er fragte: »Liebst du mich noch?«
    Ich vergaß die Himbeere und betrachtete sein Gesicht. Seinen Ausdruck konnte ich nicht richtig deuten. Vielleicht eine Mischung aus Erschöpfung und Neugier. Was sollte ich davon halten? Erst dieses Pep-Wort und jetzt die Frage, ob ich ihn noch liebte? Wer stellt sich diese Frage denn noch, nach fast fünfzehn Jahren Ehe? War das die Midlife-Crisis? Das richtige Alter dafür hatte er ja.
    »Was? Natürlich!«
    »Wirklich?«
    Was war nur los mit ihm? Aber sein Nachhaken bewirkte, dass ich mir die Frage wirklich stellte. Tat ich es? Aber ja. Doch. Sicher. Oder? »Was redest du denn da, Christoph? Natürlich liebe ich dich. Iss jetzt deine Eier auf, wird ja alles ganz kalt.«
    »Ich meine nicht so, wie man ein Haustier lieb hat, weil es mit einem unter einem Dach lebt. Oder wie man einen guten Freund gern hat oder einen Bruder. Was ich meine, ist: Liebst du mich so, wie eine Frau einen Mann liebt?«
    Wie eine Frau einen Mann liebt? Ich fühlte mich seltsamerweise wie ein Kind, das man in flagranti dabei ertappte, wie es nach der Keksdose griff. Als ob er in mein Innerstes blickte und etwas erkannte, was ich selbst nicht zu deuten vermochte. Wie eine Frau einen Mann liebt? Wenn er Begierde und Leidenschaft meinte, dann würde ich ihn anlügen müssen, denn ich konnte ja schlecht sagen, dass seine Berührungen mich kaum noch in Ekstase versetzten, nach all den Jahren.
    »Also, ich weiß nicht, Christoph, aber irgendwie nervt mich diese blöde Fragerei. Natürlich liebe ich dich. Wenn dir etwas passieren würde, dann …«
    »Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf. Er war nun etwas lauter geworden und klang gereizt. »Davon rede ich doch gerade. Verstehst du denn nicht? Man kann jemanden gern haben, auch lieben, weil man ihn gut kennt und weil man bestimmte Dinge an ihm schätzt. Ich rede aber von Zuneigung und Verlangen.«
    Verlangen? Wieder ein Wort, das er niemals benutzte. Wer hatte ihm denn diese Flöhe ins Ohr gesetzt? Blätterte er heimlich in der Cosmopolitan ?
    Ich schluckte, und mein Herz klopfte wie verrückt, als ich ihm die Frage stellte: »Hast du jemanden kennengelernt?«
    »Nein!« Die Antwort kam ohne Zögern, fast etwas zu schnell. Aber es klang aufrichtig, und ich glaubte ihm.
    »Christoph, ich … Also … Nach so vielen Jahren ist niemand mehr verliebt.« Das hätte ich nicht sagen sollen. Das kann man vielleicht mit einer Freundin bereden, aber wie blöd muss man sein, seinem Mann zu sagen, man sei nicht mehr verliebt? Es gibt Dinge, die weiß man voneinander, spricht sie aber lieber nicht aus. Das ist, als würde einen jemand fragen: »Findest du, ich habe zugenommen?«, und man antwortet: »Ja, absolut! Und da wir gerade bei deinem Aussehen sind: Du solltest unbedingt etwas gegen deine strähnigen Haare unternehmen.« Harmonie für immer storniert. Lügen retten Freundschaft und Liebe.
    Ein paar Sekunden war es ganz still in der Küche. Draußen fiel der Schnee in dicken Flocken,
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