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Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam

Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam

Titel: Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Autoren: Nelly Arnold
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Mittagszeit. Man musste keine Intelligenzbestie sein, um eins und eins zusammenzuzählen.
    Geistig erschöpft saß ich auf der Bank, neben mir die Koffer, und dachte nach. Mittlerweile waren mehrere U-Bahnen vorbeigefahren, aber ich war noch immer zu keiner Lösung gelangt, weil ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ich begriff, dass ich es drehen und wenden konnte, wie ich wollte, aber ich hatte einfach keine Wahl: Die einzige Anlaufstelle waren meine Eltern. Zu Antje konnte ich nicht, weil ich dort nur auf der Couch hätte schlafen können. Die Familie sollte nicht abends oder mor gens Hemmungen haben, ins Wohnzimmer zu gehen, »weil dort jetzt Tante Lyn wohnt«. Die Kinder würden mich nach spätestens zwei Tagen hassen.
    Zu Frau Wenzel, meiner Chefin, konnte ich auch nicht. Sie würde mich bestimmt aufnehmen und Verständnis haben, aber ich wollte sie nicht in eine unangenehme Lage bringen. Außerdem hatte sie mir schon damit geholfen, dass ich bald in ihre Fußstapfen treten würde. Das reichte fürs ganze Leben.
    Also setzte ich mich in die U-Bahn und beschloss, zu meinen Eltern zu fahren. Oder wie Antje und ich es bezeichnen: ins Fegefeuer der alten Wunden.
    Stupide schaute ich aus dem Fenster, wo es nichts zu sehen gab. Die U-Bahn ruckelte, und ich grübelte darüber nach, wie es weitergehen sollte. Ich stand einfach nur unter Schock, konnte noch nicht einmal anfangen, das Ganze zu verarbeiten.
    Tippte da gerade jemand auf meine Schulter? Das war ja die Höhe! Dabei saß ich weder auf einem Schwerbehindertenplatz, noch war ich so jung, dass ich für einen Greis aufstehen musste. Ich hob den Kopf und sah den rundlichen Mittfünfziger fragend an. »Ja, bitte?«
    Er hielt mir seinen Ausweis unter die Nase. Was darauf stand, konnte ich aus der geringen Entfernung sowieso nicht entziffern, weil ich neuerdings an Altersweitsicht litt, wie mein Augenarzt sich ausgedrückt hatte.
    »Ihren Fahrschein, bitte.« Der Mann klang unfreundlich, als hätte er mir die Schwarzfahrerin schon angesehen.
    Natürlich, in dem ganzen Durcheinander hatte ich vollkommen vergessen, eine Fahrkarte zu kaufen! Und nicht nur das, ich hatte meinen Geldbeutel nicht dabei. Er lag immer in der Kommodenschublade im Flur, mitsamt meiner Bankkarte, und ich hatte in meiner Aufregung nicht daran gedacht, ihn einzupacken. Ich sah den Kontrolleur ein paar Sekunden an, schüttelte ungläubig den Kopf und sagte: »Auch wenn Sie es mir nicht abnehmen, aber das ist das erste Mal in meinem ganzen Leben, dass ich kein Ticket habe.«
    »Kann ja sein, deswegen müssen Sie trotzdem Strafe zahlen.«
    Warum war er nur so kaltherzig? Plötzlich wurde ich, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, von meinen Gefühlen überwältigt. Ich konnte nicht anders. Mir schossen die Tränen in die Augen, und ich schluchzte laut auf. »Hören Sie, ich … Ich habe einen ganz schlimmen Tag … Ich habe ge rade meinen Mann verlassen. Und Sie fragen mich nach einer scheiß Fahrkarte. Wie können Sie nur so herzlos sein?«
    Der Kontrolleur ging überhaupt nicht auf meinen Gefühlsausbruch ein. »Also? Haben Sie einen Ausweis dabei?«
    Es war wirklich peinlich. Ich flennte und saß da ohne Ticket, und die anderen Fahrgäste glotzten mich an. Ein paar schienen Mitleid zu haben. Nur eine ältere Frau durchbohrte mich mit ihrem verachtenden Blick.
    Zum Glück hatte ich meinen Ausweis immer in der Handtasche und bewahrte ihn nicht im Geldbeutel auf. Mit zitternden Fingern kramte ich in meiner Tasche und reichte ihn dem Mann, ohne ihn dabei anzusehen.
    »Und das nächste Mal bitte erst mal zum Fahrkartenautomaten, ja?«
    »Die klugen Sprüche können Sie sich schenken«, hörte ich jemanden hinter mir sagen.
    Die anderen Leute benahmen sich in unangenehmen Situationen immer gleich. Sie hüstelten, räusperten sich oder tauschten kurze Blicke untereinander aus. Aber ich hatte andere Sorgen, als mich wegen einer fehlenden Fahrkarte zu schämen. Ich musste heute noch Mami und Papi fragen, ob ich wieder in mein Kinderzimmer ziehen konnte.

2
    Z umindest konnte ich mich darauf verlassen, dass meine Eltern zu Hause waren. Samstagabend gingen sie mit ihren alten Freunden zum Kegeln, und jeden zweiten Sonntag trafen sie sich beim Skat in der Gaststätte um die Ecke – wo sie auch Geburtstage, Jahrestage und sonstige datumsbestimmte Feiern vollzogen. Heute war der skatfreie Sonntag.
    Wie furchtbar monoton sich das anhörte, wurde mir nicht erst jetzt bewusst – dafür die Tatsache, dass wir
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