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Ohne Gewaehr

Ohne Gewaehr

Titel: Ohne Gewaehr
Autoren: Renee R. Picard
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widerfahren war. Seinen Augen fehlte der natürliche
Glanz, wie dunkle Höhlen lagen sie in seinem Gesicht. Besorgt fragte ich ihn: »Bist
du gerade erst angekommen? Bist du gar nicht müde von deiner Reise?«
    Er lachte unbekümmert, wie immer. »Nein, ich habe im
Flugzeug geschlafen. Wir hatten einen kurzen Zwischenstopp in San Francisco,
das war ganz angenehm.« Mir fiel auf, dass er mir dabei nicht wie sonst in die
Augen blickte, sondern irgendeinen undefinierbaren Punkt genau hinter mir an
der kahlen Wand anstarrte.
    »Das hier ist übrigens Michael. Er arbeitet für den
Boston Globe.«
    Manierlich streckte ich meine Hand aus. »Wir kennen uns
schon. Wenn auch nur flüchtig«, erklärte ich meinem verdutzten Freund. »Möchtet
ihr gern unter vier Augen sprechen? Dann setze ich mich mit einem Cappuccino an
einen anderen Tisch und warte, bis ihr eure geschäftlichen Angelegenheiten geklärt
habt.«
    Garry warf mir einen dankbaren Blick zu. »Du bist echt
ein Schatz, Juliet. Du kannst wohl inzwischen auch Gedanken lesen?«
    Ich lächelte nur und stand auf. Michael McDermott
entspannte sich sichtlich mit jedem Schritt, den ich mich von seinem Tisch
entfernte. Was hatte er nur? Ich war doch nie unhöflich zu ihm gewesen, hatte
sogar dafür gesorgt, dass Daniel ihn nicht von einer Wohltätigkeitsveranstaltung
vertrieb, von der er berichten wollte.
    Die beiden Männer sahen sich bedeutungsvoll an,
schienen nachdenklich und ein bisschen besorgt. Ich wandte mich einer Zeitung
zu, die jemand auf dem Nebentisch vergessen hatte und bestellte mir Kaffee. Endlich
mal etwas anderes als diese üble WG-Brühe. Aus den Augenwinkeln beobachtete
ich, wie McDermott Garry einen Umschlag zuschob. Beide taten ganz geheimnisvoll
und ich versuchte, ihr Gespräch zu belauschen. Doch in diesem Augenblick
klingelte mein Handy.
    Genervt zog ich es aus der Tasche. Ob Santoro sich
beschwerte, dass ich nicht pünktlich zur Vernehmung erschien?
    Aber ein Blick auf mein Display belehrte mich eines
Besseren. Der Anruf war nicht von Santoro sondern von Katie. Hoffentlich ging
es ihr gut. Äußerlich schien ihr die Entscheidung, ihre Schwangerschaft zu
beenden, nichts ausgemacht zu haben. Aber was wusste ich schon, wie es in ihrem
Kopf aussah?
    »Was gibt es, Katie?«, bemühte ich mich, so freundlich
wie möglich zu klingen.
    »Juliet, es ist etwas passiert! Ich bin im Ritzman und
wollte mich mit Steve treffen. Aber Daniel war gerade hier«, flüsterte sie und
klang dabei ganz außer Atem.
    »Was wollte er denn? «, fragte ich alarmiert. »Hat er
dir irgendwelchen Ärger gemacht? Wollte er wissen, wo ich bin?«
    »Nein, viel Schlimmer«, berichtete mir Katie. »Er ist
einfach so  ins Fitnessstudio hereingeplatzt, als ich mich mit Steve
unterhalten habe. Er war so furchtbar wütend.« Sie war völlig außer sich.
    »Um Gottes Willen, was ist denn passiert? Hat er dir
etwas getan?« Ich wagte gar nicht daran zu denken, was Daniel alles anstellen
konnte, wenn er sich nicht unter Kontrolle hatte. Heute früh war er ziemlich ungehalten
gewesen, aber ich glaubte eigentlich nicht, dass er Stunden später deswegen einen
Tobsuchtsanfall hatte. Hoffentlich war wenigstens Smith bei ihm. Vorsichtig
tastete ich nach meinem silbernen Armband und vergewisserte mich, dass es noch
fest um mein linkes Handgelenk lag.
    »Daniel hatte die Tüte mit den Tabletten und dem
Schwangerschaftstest dabei. Er wollte von mir wissen, ob du mir davon erzählt
hast. Ich hatte gar keine Gelegenheit, ihm die Sache zu erklären. Steve stand
neben mir und als ich ihn gebeten habe, kurz wegzugehen, ist Daniel auch schon
aus dem Studio gestürmt. Bestimmt denkt er jetzt, du...«
    »Mach dir keine Sorgen«, unterbrach ich sie
erleichtert. »Ich werde ihn gleich anrufen und alles aufklären.«
    Nur langsam beruhigte sich Katie. Sie gab sich die
ganze Schuld an dem Missverständnis, doch schließlich gelang es mir, sie davon
zu überzeugen, dass alles in Ordnung war.
    Nachdem ich den Anruf beendet hatte, überlegte ich, ob
ich Daniel lieber sofort anrief oder etwas Zeit vergehen lassen sollte. Doch
dann gab ich mir einen Ruck. Diesen Irrtum musste ich auf der Stelle aufklären,
über solche Fragen durfte ich ihn keine Sekunde im Unklaren lassen, egal ob wir
uns gestritten hatten.
    Ich blickte zu Garry und seinem Bekannten hinüber, noch
immer waren die beiden Männer in ihre Unterhaltung verstrickt. Beide sahen so
ernst aus, man konnte meinen, es ginge bei ihrem Gespräch um Leben und Tod
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