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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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Biergarten kennengelernt. Der Beginn einer bayerisch-schwedischen Liaison, die sich erstaunlich gut gehalten hatte. Bis Anfang letzten Jahres jedenfalls, als Gunnar auf dem Parkplatz des Supermarktes seinen Volvo nicht wiederfand.
    Immer wenn sie anrief und mir von ihren Blumen oder den schwedischen Preisen erzählte, hörte ich einen anderen Text: Den ganzen Tag beschäftigst du dich mit anderen Leuten und ihren Problemen. Was ist mit uns?
    Ich stand auf, ging zum Wandregal und goss aus einer Flasche Highland Park zwei Daumen breit Whisky in ein dickwandiges Glas. Mit dem Glas in der Hand kroch ich zurück in den Sessel und versuchte, nicht an Helen zu denken. Yo-Yo Ma vergnügte sich jetzt mit einem Tango von Piazzolla. Der Malt Whisky roch nach Rauch und Heide, und ich dachte zum wiederholten Mal daran, wie schwer es mir fiel zu trinken, ohne zu rauchen. Ohne Helen hätte ich auch das nicht geschafft. Um genau zu sein: Ich hätte es nicht einmal versucht.
    Sie war mitgeflogen nach Schweden damals, nachdem der Anruf gekommen war. Nach der Landung in Stockholm waren wir mit einem Mietwagen nach Småland gefahren. Während der ganzen Fahrt hatte ich hartnäckig geschwiegen, während sie, auf das schwedische Tempolimit fröhlich pfeifend, den Wagen fuhr.
    Warum lässt du dich so hängen? Weil dein Vater dir leidtut? Oder deine Mutter? Oder du dir selbst? Es wird viel Arbeit geben, aber die wird größtenteils deine Mutter erledigen. Kann es sein, dass der große Thomas Nyström beleidigt ist, weil er einen Vater bekommt, der den Verstand verliert?
    Auf dieser Fahrt war mir klar geworden, dass ich sie nicht annähernd so gut kannte wie sie mich. So viel zum Thema Psychologie.
    Es funktioniert nicht mit uns beiden. Weil wir beide zu lange allein waren! Weil wir beide mit unseren Jobs verheiratet sind! Und weil wir zwei gottverdammte Eigenbrötler sind.
    Sie hatte recht gehabt. Funktioniert hatte es nicht. Aber aufgehört auch nicht. Ich stand auf, setzte mich an den Schreibtisch, schaltete den PC an und sah auf die Uhr, während der Rechner mit sonorem Brummen hochfuhr. Es war kurz vor sieben. Prime Time. Ich sah zu, wie ihre E-Mail-Adresse an die richtige Stelle huschte, und begann zu schreiben:
     
    An: [email protected]
    Ich brauche dich. Bitte antworte mir. Lass mich nicht hängen.
     
    Wir besuchten uns in unregelmäßigen Abständen und telefonierten gelegentlich. Hauptsächlich aber kommunizierten wir über das Internet. Jeden Abend ab sieben. Zur besten Sendezeit. Wenn etwas unsere Beziehung exakt widerspiegelte, dann diese elektronischen Plauderstündchen. Bis vor zwei Tagen jedenfalls. Seitdem hatte sie keine meiner Mails mehr beantwortet.
    Ich ging ins Bad und ließ Wasser in die Wanne laufen. Anschließend goss ich noch einmal Whisky in das Glas, setzte mich damit langsam in das heiße Wasser und starrte auf meine Zehen.
    Dr. Thomas Nyström, ein echter Kracher vom Max-Planck-Institut. Keine Aussicht auf eine Professorenstelle, keine Aussicht auf die Frau des Jahrhunderts, keine Aussicht auf eine Zigarette.
    Dafür jede Menge Selbstmitleid, sagte Helens Stimme in meinem Kopf. Sie hatte sich daran gewöhnt, das letzte Wort zu haben. Als das Wasser kälter wurde, stieg ich aus der Wanne und ging zum Computer. Keine Mail. Ich beugte mich über die Tastatur und begann zu tippen:
    An: [email protected]
    Wo steckst du?
    Danach zog ich mir etwas über und wählte ihre Telefonnummer. Nach dem zehnten Klingeln legte ich auf. Bei der Handynummer meldete sich eine kühle Frauenstimme: »Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie …«

Zwei
    H
    elen sitzt auf der sonnenüberfluteten Terrasse einer griechischen Taverne. Sie trägt einen Strohhut und ein weißes, ärmelloses Sommerkleid. Von meinem Beobachtungspunkt aus kann ich sehen, dass ihre Haut trotz der griechischen Sonne nur eine leichte Segelbräune aufweist. Sie bewegt sich sicher und ungezwungen, scherzt mit dem Kellner und trinkt zügig aus einem großen Cocktailglas.
    Ich stehe auf einer Art Holzturm, wie sie als Aussichtsplattform für Strandwächter und Rettungsschwimmer gebaut werden. Nur dass ich nicht den Strand beobachte, sondern eine Terrasse. Obwohl diese ziemlich weit entfernt ist, kann ich Helen gut erkennen. Im gleißenden Licht der Nachmittagssonne sieht sie unglaublich schön aus. Ich sehe, wie sie einen neuen Cocktail bestellt und sich aus dem Hintergrund, wo die Taverne sein muss, ein Schatten löst. Ein Mann betritt
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