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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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die Terrasse. Er ist mittelgroß und sehr schlank. Er trägt schulterlanges, dunkelblondes Haar und ist lediglich mit einer über den Knien abgeschnittenen Jeans bekleidet. Zielstrebig geht er auf Helen zu, küsst sie und setzt sich an den Tisch. Helens Gesicht hat jetzt einen merkwürdig ratlosen Ausdruck angenommen. Sie hat den Kuss des Mannes weder abgewehrt noch erwidert, sondern nur höflich gelächelt.
    Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig. Weil es nicht stimmt. Die ganze Szene stimmt nicht.
    Der Mann hat einen Arm um Helens Schulter gelegt und angefangen, auf sie einzureden. Helen hört mit ernstem Gesicht zu, scheint aber nicht beunruhigt zu sein. Das solltest du aber.
    Beide sind jetzt aufgestanden, und Helen wirft einen Geldschein auf den Tisch. Der Mann legt seinen Arm wieder um ihre Schultern, und gemeinsam gehen sie auf den Ausgang zu, den ich aber nicht erkennen kann. In diesem Augenblick dreht der Mann seinen Kopf um und sieht genau in die Richtung, in der sich mein Aussichtsturm befindet. Sein Gesicht wird von der hellen Sonne wie mit einem Scheinwerfer angestrahlt und zeigt einen höhnischen, frettchenhaften Ausdruck. Ich bin so erschrocken, dass ich einen kurzen Moment das Gleichgewicht verliere, und dann wird mir klar, was ich da sehe. Der Mann hat nicht einfach über die Schulter zurückgeschaut. Er hat, ohne den Rumpf zu bewegen, den Kopf vollständig nach hinten gedreht, sodass sein Gesicht sich unmittelbar über dem Genick befindet. Jetzt völlig panisch, fahre ich herum und sehe direkt hinter mir eine grob gehauene Holzleiter. Ich haste drei Sprossen hinab und springe dann einfach nach unten. Aber es gibt dort keinen Strand. Ich lande mit den Füßen auf einer Asphaltstraße, und ein rasender Schmerz schießt meine Beine hinauf, explodiert in meinem Kopf. Und dann bin ich wach.
    Ich war nass geschwitzt und zittrig, und in meinem Kopf hämmerte es gleichmäßig und heftig. »Bang, bang Maxwell’s silver hammer came down upon his head.« Woher kannte ich das? Auch der Schmerz in meinen Beinen war real. Ein Wadenkrampf, gleich in beiden Beinen. Ich richtete mich auf, und Maxwells Hammer erhöhte die Taktfrequenz. »… made sure that he was dead.«
    »Nicht ganz tot«, wollte ich sagen, aber meine Zunge spielte nicht mit. Dick und pelzig, wie ein toter Hamster, lag sie in meinem Mund und rührte sich nicht. Ich setzte mich auf die Kante der Ledercouch und versuchte, mich zu orientieren. Das Wohnzimmer lag weitgehend im Dunkeln, aber ich war eindeutig zu Hause. Der matt leuchtende Bildschirm des PCs tauchte den Schreibtisch in ein diffuses Licht, und ich konnte auch die Leuchtziffern meiner Armbanduhr deutlich sehen. Es war 4.30 Uhr. Der Schmerz in den Beinen ließ langsam nach. Ich hatte noch nie einen Albtraum gehabt. Zumindest keinen, an den ich mich nach dem Aufwachen erinnern konnte. Wie war das passiert? Ich hatte bis kurz vor Mitternacht versucht, sie anzurufen. Und die ganze Zeit getrunken. Danach war ich auf der Couch eingeschlafen und hatte angefangen, diesen Irrsinn zu träumen.
    Ich ging ins Badezimmer, drehte die Dusche auf und wartete, bis der ganze Raum mit Wasserdampf gefüllt war. Anschließend zog ich mich aus und stellte mich mitten in den heißen Strahl. Die Kopfschmerzen gingen etwas zurück, aber dafür spürte ich eine leichte Benommenheit, die sich im Laufe des Morgens zu einem veritablen Kater auswachsen würde. Meine Zunge erholte sich, während ich über den Traum nachgrübelte. Helen und ich hatten uns in Griechenland kennengelernt, aber das war auch schon alles. Mehr Realitätsbezug gab es nicht.
    Wie wäre es mit deiner Eifersucht? Ich war nicht eifersüchtig! Nicht in dem Traum, aber sonst schon. Vergiss den Traum. Okay, aber das bringt uns zur Masterfrage: Wo ist sie?
    »Schluss jetzt«, sagte ich, so laut ich konnte. Ich drehte das Wasser ab und begann, mich mit einem angewärmten Handtuch langsam und sorgfältig abzutrocknen. Anschließend zog ich einen Bademantel über und schluckte drei Aspirin. Ich kochte eine Kanne schwarzen Kaffee, zwang mich, zwei Scheiben Toast zu essen, und begann zu warten. Frühestens um sechs Uhr konnte ich sie anrufen. Sie jetzt zu wecken wäre ein verdammt großer Fehler gewesen.
    Sie ist sowieso nicht da. Was willst du eigentlich? Bist du eifersüchtig oder besorgt?
    Um Punkt 6.00 Uhr wählte ich Helens Nummer. Nach dem zehnten Klingeln stand mein Entschluss fest. Ich zog mich an, packte eine Reihe von Kleidungsstücken in einen
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