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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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war karibisch gestylt. Große Aquarien an den Wänden reflektierten ein angenehm gelbgrünes Licht, und die leise Musik aus den Lautsprechern steuerte der Buena Vista Social Club bei. Alle hatten Geld, waren jung und sonnenbankgebräunt.
    Was hatte Helen hier zu suchen gehabt?
    »Sie wollten mich sprechen?«
    Ich drehte mich um. Mirko sah beinahe noch besser aus als sein Kollege. Sonnenbrille, Goldkettchen, alles dran.
    »Es geht um die Frau, die am Donnerstag gestorben ist.«
    »Sind Sie von der Versicherung?«
    »Sie war eine Freundin von mir.«
    »Sorry, tut mir leid. Die Sache ist uns allen mächtig an die Nieren gegangen, aber ich habe der Polizei schon alles erzählt.«
    »Wo hat sie gesessen?«
    Mirko rollte ostentativ genervt mit den Augen und hob beschwörend die Hände.
    »Da, wo Sie jetzt sitzen. Vielleicht zwei Hocker weiter. Hören Sie, es war viel zu tun an dem Abend. Ich habe nicht groß auf sie geachtet. Sie sah nett aus, aber nicht unbedingt der Typ, der in einem Fitnessclub alle Blicke auf sich zieht.«
    Ich holte einen Fünfzig-Euro-Schein heraus, drehte ihn zu einem dünnen Kokser-Röhrchen zusammen und steckte ihn zu den original karibischen Strohhalmen, die in einem Glas auf der Theke standen.
    »War sie allein?«
    »Zuerst ja. Später hat sie sich mit einem Mann unterhalten, der neben ihr saß.«
    »Kannten Sie den?«
    »Nein. Sportlicher Typ. Mittleres Alter. Völlig unauffällig. Es tut mir leid, ich muss hier jetzt weiterarbeiten.«
    Er fischte sich den Fünfziger aus dem Glas und drehte sich um.
    »Ich gebe Ihnen noch fünfzig, wenn Sie mir die Saunakabine zeigen.«
    Mirko zögerte kurz, nahm dann einen Schlüsselbund vom Wandhaken und winkte mir wortlos, ihm zu folgen. Wir gingen durch einen hell erleuchteten Flur, folgten den Hinweisschildern »Toiletten / Sauna / Schwimmbad« und landeten schließlich bei den Einzelsaunakabinen. Er schloss eine auf.
    »Diese war es. Normalerweise ist nicht abgeschlossen.«
    Ich betätigte den Lichtschalter, ging zwei Schritte in den Raum hinein, und da wusste ich es auf einmal. Seit ich mit Geldorf und Born gesprochen hatte, war ich dieses Gefühl nicht mehr losgeworden, und doch war ich überrascht von der überwältigenden Gewissheit, die ich jetzt verspürte. Es war ein kleiner, fensterloser Raum, Wände und Decke mit hellem Holz verkleidet, sieben oder acht Quadratmeter groß. Alles sehr sauber und gepflegt.
    Vielleicht war Helen manchmal in die Sauna gegangen, obwohl sie nie etwas davon erzählt hatte. Vielleicht hatte sie zu viel getrunken, und vielleicht war es auch richtig, dass es keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gab. Aber eines wusste ich ganz sicher: Nie im Leben und unter keinen Umständen hätte sie freiwillig diesen Raum betreten.
    Du bist Psychologe? Das ist ja wunderbar. Vielleicht kannst du mir helfen. Ich habe eine heftige Macke. Ich bin klaustrophobisch bis unter die Haarspitzen.
    Ich konnte ihren sarkastischen Tonfall in meinem Kopf beliebig an- und abschalten.
    Der Barmann sah meinen ungläubigen Gesichtsausdruck und sagte:
    »Die Einzelkabinen sind alle nicht größer, aber dafür ist die Gemeinschaftssauna sehr schön geräumig.«
    Ich gab ihm den Geldschein und ließ ihn stehen. Auf dem Weg nach draußen sah ich Helens Gesicht vor mir. Die Lippen waren aufeinandergepresst, die Pupillen starr und geweitet, ein feiner Schweißfilm bedeckte die Stirn. Bei einer Bergwanderung im letzten Herbst hatte sie sich kurz vor dem Aufstieg auf den Gipfel den Knöchel verstaucht. Ein Abstieg zu Fuß kam nicht infrage, und so hatte ich darauf bestanden, mit der Kabinenbahn ins Tal zurückzufahren. Zwanzig unvergessliche Minuten. Die Panikattacke hatte eingesetzt, als die hydraulische Tür der Kabine sich schloss, und ließ erst nach, als Helen auf dem Klo der Talstation alles von sich gab, was sie jemals gegessen hatte.
    »Mach das nicht noch mal mit mir«, hatte sie gekeucht und dabei verzerrt gelächelt.
    In dieser Nacht hatten wir das letzte Mal miteinander geschlafen.
    Auf der Straße war es überraschend hell. Während ich am Rande eines geistigen Totalschadens herumbalancierte, hatte Hamburg sich entschlossen, den Frühling einzuläuten. Die Abendsonne war immer noch warm, auf den Straßen und den Autos glitzerte die Nässe, und wildfremde Menschen grinsten sich an. Ich kaufte mir ein Stück Pizza mit Sardellen und Kapern darauf, die wie Küchenschaben aussahen.
    Es schmeckte mir.
    Ich war völlig durchgedreht.
    Danach fuhr ich mit
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