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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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etwas, das gar nicht zu mir gehörte, so irrsinnig wehtun konnte.
    Ich taumelte durch die Tür und ging im Flur zu Boden. Auf den Knien betrachtete ich abwechselnd meinen Arm und das Gespenst, das mich angegriffen hatte. Direkt unter der Flurlampe stand eine magere Gestalt, die zumindest auf den zweiten Blick unzweifelhaft menschlich war. Sie trug schwarze Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber eine tigerfellartig gemusterte Weste. Der Kopf war bis auf eine schwarz gefärbte Irokesenbürste kahl geschoren, das schmale Gesicht sehr blass geschminkt. Nasenflügel, Ohren, Augenbrauen und die Unterlippe waren gepierct. Augen, die durch ein groteskes Makeup hervorgehoben wurden, starrten mich wütend an. Der Lippenstift hatte in etwa die Farbe eines abheilenden Blutergusses. Mit beiden Händen hielt sie ein dreißig Zentimeter langes Lineal aus massivem Edelstahl, das viele Jahre ungenutzt auf Helens Schreibtisch gelegen hatte, bevor es auf meinen Arm traf.
    »Scheiße, Mann, wer bist du?«
    Die Stimme kam mir bekannt vor.
    »Ich dachte, der Punk wäre tot!«
    »Wer bist du?«
    »Ich bin ein Freund von Helen«, sagte ich lahm, »sie hat mir einen Schlüssel gegeben.«
    Ihr Gesichtsausdruck unter der Kriegsbemalung schien etwas freundlicher zu werden.
    »Du bist der Schwede?«
    »Ich bin der Bayer«, sagte ich, »und jetzt leg endlich das Ding weg!«
    Sie beugte sich herunter, legte das Lineal auf den Boden und kam vorsichtig näher.
    »Zeig mal her den Arm!«
    Etwa fünfzehn Zentimeter über dem Handgelenk hatte sich eine prächtige Rötung breitgemacht. Der Arm begann anzuschwellen und tat höllisch weh.
    »Im Kühlschrank ist Eis. Komm, ich helfe dir hoch.«
    Sie ergriff meine linke Hand, und mit ihrer Hilfe kam ich auf die Beine. Dann folgte ich ihr in die Küche.
    »Willst du mir nicht endlich sagen, wer du bist?«
    »Anna Jonas. Ich bin Helens Schwester.«
    »Du hast die gleiche Stimme wie Helen!«
    »Mit Sicherheit die einzige Gemeinsamkeit.«
    Sie kramte im Kühlschrank herum und kam mit zwei Cool Packs zurück. Ich setzte mich an den Küchentisch und platzierte die Dinger, so gut es ging, auf dem Hämatom.
    »Warum hast du auf mich eingeschlagen?«
    »Ich hatte Angst. Gestern Nachmittag haben die Bullen mich angerufen und mir gesagt, dass Helen tot ist. Sie wollten, dass ich herkomme. Von wegen einzige lebende Verwandte und so. Na ja, und als ich hergekommen bin, wussten die hier schon bestens Bescheid über mich.«
    Sie angelte sich einen Küchenstuhl, setzte sich rittlings drauf und starrte mich über die Rückenlehne an.
    »Du bist Nyström, oder?«
    »Hat Helen von mir erzählt?«
    »Hat sie. Und sogar Gutes. Sie hat dich auch beschrieben. Groß, blond, Sommersprossen. Sportlicher Typ. Ich hab nur nicht gedacht, dass du so mager bist. Helen hat gesagt, du ruderst.«
    »Paddeln«, sagte ich automatisch, »es heißt paddeln. Ich bin mal Wildwasserkanu gefahren, aber das ist lange her. Komisch, dass sie von dir nie was gesagt hat.«
    Anna lachte leise.
    »Ich bin als Schwester nicht gerade vorzeigbar. Jedenfalls nicht in Hanseatenkreisen. Außerdem hat sie sich ständig Sorgen um mich gemacht.«
    »Lebst du so gefährlich?«
    »Helen fand, ja!«
    Sie schluckte, stand auf und fing an, in der Küche hin und her zu laufen, um das Weinen zu unterdrücken.
    »Warum hast du versucht, mir den Arm zu brechen!«
    »Ich war mir sicher, dass ich die Einzige mit einem Schlüssel zu dieser Wohnung bin. Und als du an der Tür warst, habe ich eine Scheißangst gekriegt. Aber auch, weil die Bullen so komisch drauf waren.«
    Ich sah sie fragend an.
    »Wenn ich auf ein Polizeirevier komme, weiß ich, was mich erwartet. Aber gestern, das war anders. Die waren höflich, obwohl sie meine Akte hatten. Die haben mich gesiezt, und die haben meine Fragen beantwortet. Haarklein hat mir der Dicke erzählt, was mit Helen passiert ist, und da habe ich gespürt, dass er selbst nicht glaubt, was er da erzählt. Verstehst du, er hat nicht gelogen, er möchte gerne glauben, dass es ein natürlicher Tod war, aber er tut es nicht.«
    »Ich glaube es auch nicht«, sagte ich leise.
    Und dann erzählte ich ihr alles. Von Helens Klaustrophobie, Mirkos Saunakabinen, der leer geräumten Festplatte und dem Date mit Dr. Meiners.
    Annas Augen hatten sich jetzt tatsächlich mit Tränen gefüllt. Sie stand mit hochgezogenen Schultern in der Küche und starrte mich an.
    »Bitte, setz dich wieder!«, sagte ich.
    Sie ging zum Kühlschrank und kam mit zwei
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