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Lügen & Liebhaber

Lügen & Liebhaber

Titel: Lügen & Liebhaber
Autoren: Susanne Fülscher
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Ich hatte gerade den letzten Teil der Frage zur Erotik in Heinrich von Veldekes »Eneide« beantwortet, schlug die Beine umständlich und in Zeitlupe übereinander, als Professor Weickel plötzlich nach Luft schnappte, das Japsen steigerte sich innerhalb von Sekunden zu einem gefährlichen Röcheln, und noch bevor der Prüfungsbeisitzer seine Lesebrille von der Nase nehmen konnte, kippte Weickel vom Stuhl und war tot.
    Das war ein harter Schlag, zumal ich fürchtete, meine Prüfung wiederholen zu müssen. Aber ich hatte Glück. Schon ein paar Tage später teilte man mir schriftlich mit, die Prüfung sei anerkannt worden, auch wenn Weickel mich noch exakt viereinhalb Minuten hätte befragen sollen und es eigentlich auch nicht Rechtens sei, daß der Prüfungsbeisitzer allein die Note bestimme. Ich bekam nur eine Drei, was ich wahrscheinlich allein Weickels Ableben zu verdanken hatte. Denn welcher Prüfungsbeisitzer riskiert schon den Vorwurf, er habe die Studentin in Anbetracht eines derartigen Vorfalls bevorzugt? Aber es spielte keine Rolle. In der Endnote kam ich so oder so auf eine Zwei, und außerdem war ich ab sofort frei. Erlöst von spartanischen Seminarräumen, Kaffee aus Plastikbechern und vor allem von Germanistikstudentinnen mit chronischer Logorrhöe.
    Abends hatte ich noch eine Idomeneo-Vorstellung hinter mich zu bringen, den Rest der Nacht betrank ich mich mit meiner besten Freundin Toni, Ankleiderin an der Oper, und dem schwulen Requisiteur Bernd im »Abendmahl«. Wie viele andere Abende auch. Nichts Spektakuläres. Nicht mal ein Flirt sprang dabei heraus. Am nächsten Morgen buchte ich genauso kurz entschlossen wie verkatert einen Flug nach Madrid, um mich dort – immerhin begann ein neuer Lebensabschnitt – für rund 20 000 Peseten im »Gran Hotel Reina Victoria« einzuquartierenund schon am Nachmittag meinen Kopf auf der Plaza Mayor einer wunderbar warmen Frühjahrssonne entgegenzurecken. Kurz dachte ich an den armen Schurken Weickel, der quasi gleichzeitig mit mir von all dem Uni-Mief befreit worden war, aber bevor ich noch sentimental wurde, schob ich den Gedanken an meinen Lieblings-Mediavistik-Prof beiseite, denn schließlich bezahlte ich nicht umsonst so ein teures Hotel: Ich hatte Wichtiges zu tun, sprich, die schwierige Aufgabe, den verbleibenden Rest meines Lebens zu organisieren. Manche ließen sich in meinem Zustand einfach M.A. auf ihre Visitenkarten drucken – vielleicht beruhigte sie das –, aber ich fand, so einfach lagen die Dinge nun wirklich nicht.
    Als erstes würde ich Adriano die Pistole auf die Brust setzen. Immerhin hatte ich ihm die letzten Monate meines Studentenlebens geopfert. Dozent für Germanistik, beheimatet im vierten Stock des Philosophenturms, den Gang vor der Bibliothek ganz runter, vorletzte Tür auf der rechten Seite. Vor knapp einem halben Jahr hatte er mich in der windgebeutelten Cafeteria im Parterre angesprochen, wo ich gerade einen randvollen Kaffeebecher zu einem der Stehtische balancierte (»Achtung! Da schwappt gleich was über!«), achtundvierzig Stunden später reihte ich mich in die Heerschar seiner Gespielinnen ein, aber schon innerhalb von zwölf Wochen sägte er all meine Konkurrentinnen ab, und ich avancierte zu seinem Augenstern, zum Mittelpunkt seiner manchmal überbordenden Gefühle. Ich auf Platz eins – er nahm sogar das Wort Liebe in den Mund. Das fand ich klasse, zumal ich wegen des Typen einen ziemlichen Aufwand betrieb. Wechselte die Bettwäsche wöchentlich, rasierte mir trotz Reizhaut täglich die Beine und füllte den Kühlschrank mit ekelerregenden Dingen wie Margarine und Halbfettkäse, weil der Herr Dozent auf seine Figur achtete. Adriano, der eigentlich Klaus Arndt hieß.
    Blieb nur die Frage, warum es in den letzten Wochen irgendwie mau zwischen uns geworden war. Nicht daß mein Enthusiasmus nachgelassen hatte, keinesfalls, aber wie sollte ich es finden, daß Adriano so wenig Zeit für mich hatte – hier einKongreß, da eine Seminarvertretung –, und wenn wir uns doch mal trafen, schien er nicht richtig bei der Sache zu sein, sprach mit mir, indem er durch mich hindurchsah, oder verzichtete gleich aufs Sprechen.
    Liebe – Scheiße, ja, es hatte mich erwischt, auch wenn es sonst nicht meine Art war, Hals über Kopf in ernsthafte Liebesgeschichten zu stolpern, bei denen Gefahr drohte, nicht ohne Verletzungen wieder herauszukommen. Aber gut, Adriano war nicht umsonst der schärfste Mann am Institut. Fünf Jahre lang hatte ich ihn
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