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Oelspur

Titel: Oelspur
Autoren: Lukas Erler
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leid«, sagte er schließlich, »man weiß nie, was man in einer solchen Situation sagen soll, aber anstatt einfach das Maul zu halten …«
    Er machte eine hilflose Bewegung mit den Achseln.
    »Lassen Sie uns hier verschwinden.«
    »Gute Idee«, sagte Geldorf erleichtert. »Die haben hier so etwas wie eine Kantine, kommen Sie!«
    Ich weiß nicht, wie ich mir eine Kantine für Pathologen vorgestellt hatte, jedenfalls war sie überraschend gemütlich. Angenehmes Licht, viel Plüsch und ein gedämpfter Geräuschpegel. Ich setzte mich in eine Ecke, Geldorf schnappte sich ein Tablett und kam mit Kaffee und Mineralwasser zurück. Er zwängte sich hinter den Tisch und sah mich neugierig an.
    Ich erzählte ihm von der gelöschten Festplatte und Helens Platzangst und erklärte ihm rundheraus, dass ich es für ausgeschlossen hielt, dass sie sich freiwillig in der Saunakabine aufgehalten hatte. Geldorf hörte aufmerksam zu, schien aber nicht sonderlich beeindruckt zu sein.
    »Also ich weiß nicht, was Sie daraus schließen wollen«, sagte er schließlich. »Es gibt viele Gründe, eine Festplatte zu löschen. Vielleicht hat sie jetzt alles auf ihrem Rechner in der Redaktion. Und kann man so eine Klaustrophobie nicht mit drei, vier Gläschen Alkohol zumindest abmildern?«
    »Ach, kommen Sie! Warum haben Sie denn eine Obduktion beantragt, wenn alles völlig normal ist?«
    Geldorf nickte bedächtig und fing wieder an, mit dem Zigarillo herumzufummeln.
    »Sehen Sie, Frau Jonas war nicht wirklich prominent, aber – wie soll ich sagen, sie hatte einen guten Ruf. Und der Staatsanwalt hatte einen Narren an ihr gefressen, weil sie ihm vor ein paar Jahren zu einem genialen Karrieresprung verholfen hat.«
    »Sie meinen die Korruptionsgeschichte?«
    »Exakt. Entscheidend war aber etwas anderes. Frau Jonas hat in der rechten Armbeuge ein kleines Muttermal, etwa so groß wie ein halber Eurocent. Man kann es nur sehr schwer erkennen, aber es sieht so aus, als ob dieses Muttermal eine Einstichstelle von einer Injektionsnadel aufweist.«
    Ich zuckte zusammen und verteilte einen Teil meines Kaffees auf dem Tischtuch.
    »Was soll das?«
    Meine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen.
    »Es war einfach komisch. Ein Arzt würde dort nicht hineinstechen. Die Stelle war außerdem relativ frisch. Wenn sie es selbst getan hat, müsste jemand anderes die Spritze entfernt haben, denn wir haben in der Kabine nichts gefunden. War sie drogenabhängig?«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf und schwieg.
    »Sehen Sie, und deshalb bin ich damit zum Staatsanwalt. Der hielt zwar nicht viel von meinen Fakten, aber viel von Frau Jonas, und darum hat er zugestimmt. Er war wirklich schockiert von ihrem Tod.«
    »Was passiert jetzt?«
    »Wir suchen weiter. Wenn in ihrem Körper etwas ist, das dort nicht hingehört, finden wir es.«
    Ich schwieg und versuchte vergeblich, meine Gedanken zu sortieren.
    »Ich habe übrigens Helens Schwester kennengelernt«, sagte ich schließlich.
    Geldorf grinste breit, was ihn um einiges sympathischer machte.
    »Oh ja, die Punklady«, sagte er genießerisch, »ein nettes Früchtchen. Ich sollte sie mit meiner Tochter bekannt machen. Die würden sich prächtig verstehen.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Sie ist in der Autonomenszene, hauptsächlich in Göttingen. Sie wissen schon, schwarzer Block und so. Gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, versuchte Körperverletzung und so weiter. Der Staatsschutz hat eine hübsche Akte über sie.«
    Ich dachte an den dumpfen Schmerz in meinem Arm und versuchte, objektiv zu bleiben.
    »Mir schien sie ganz okay zu sein.«
    »Ich bin nicht beim Staatsschutz«, sagte Geldorf, »und wie gesagt, ich kenne die Sorte. Meine wunderbare Tochter hat erst die Nerven meiner Exfrau ruiniert, und jetzt ist sie bei mir. Sie hasst mich, aber sie will auf keinen Fall ausziehen. Jedenfalls nicht, bevor sie meine Wohnung zugrunde gerichtet hat. So was hält einen jung. Haben Sie Kinder?«
    Ich schüttelte den Kopf und dachte an etwas völlig anderes. Ich hatte ihm nichts von Meiners erzählt, und ich wusste nicht, warum.
    »Ein englischer Zyniker hat mal gesagt, Enkelkinder seien Gottes Belohnung dafür, dass man seine eigenen nicht umgebracht hat. Bisschen drastisch, aber je länger ich darüber nachdenke …«
    Ich wollte es nicht erzählen. Vielleicht weil Geldorf schon bei unserem ersten Gespräch von der möglichen Einstichstelle gewusst und mir nichts davon gesagt
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