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Öland

Öland

Titel: Öland
Autoren: Johan Theorin
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steigen auf,
     aber eine kleine Welle wischt sie sofort weg.
    Jetzt hat es Nils auf einmal eilig, er springt ins Wasser.
     Kraftvoll rudert er mit den Armen, den Blick fest auf den
     Springstein gerichtet. Aber Axel ist nicht mehr zu sehen.
    Nils schwimmt schnell auf den Stein zu, taucht kurz vorher unter, kann unter Wasser aber die Augen nicht so lange
     offen halten. Er schließt sie und tastet in der kalten Finsternis, bekommt aber nichts zu fassen und taucht wieder auf. Er
     hält sich am Stein fest, hustet und zieht sich hoch.
    Um ihn herum ist nur Wasser, egal, wohin er blickt. Die
     tanzenden Sonnenreflexe auf dem Wasser verbergen alles,
     was sich unter der Oberfläche befindet.
    Axel ist verschwunden.
    Nils wartet im Wind, aber nichts geschieht, und zum
     Schluss, als er anfängt zu frieren, springt er ins Wasser und
     schwimmt langsam an Land. Er kann nichts mehr tun. Er
     klettert aus dem Wasser, schnauft und stützt sich gegen den
     großen Stein am Strand.
    Nils bleibt lange in der Sonne stehen. Er wartet auf ein
     neues Platschen, Axels vertraute Stimme, aber es ist nichts zu
     hören.
    Alles ist still. Es fällt ihm schwer, das zu verstehen.
    Auf Axels Stofftuch liegen noch vier Bonbons.
    Er denkt an die Fragen, die ihn erwarten, und überlegt,
     was er sagen soll. Dann erinnert er sich an den Tod seines Vaters und wie düster alles auf seinem Begräbnis gewesen ist. Es
     hat ewig gedauert. Alle Menschen in der Kirche von Marnäs
     sind schwarz gekleidet gewesen und haben Lieder über den
     Tod gesungen.
    Nils schluchzt. Ja, das klingt gut. Er wird zu seiner Mutter
     gehen und sagen, dass Axel noch am Strand ist. Axel wollte
     bleiben, er aber schon einmal nach Hause gehen. Und wenn
     alle anfangen, nach Axel zu suchen, kann er an die traurige
     Orgelmusik beim Begräbnis seines Vaters denken, schluchzen und mit seiner Mutter weinen.
    Nils wird gleich aufbrechen, er weiß jetzt, was er erzählen
     und was er nicht erzählen darf.
    Aber vorher isst er Axels Bonbons auf.

2
    G erlof Davidsson saß in seinem Zimmer im Altersheim von
     Marnäs und sah die Sonne vor seinem Fenster untergehen.
     Das erste Läuten der Essensglocke war verstummt, es würde
     bald Abendessen geben. Gleich würde er aufstehen und in
     den Speisesaal gehen. Sein Leben war noch nicht zu Ende.
    Hätte er noch in dem Fischerdörfchen Stenvik gelebt, aus
     dem er stammte, würde er jetzt am Ufer sitzen und zusehen,
     wie die Sonne langsam im Kalmarsund versank. Aber Marnäs
     lag an der Ostküste der Insel, weshalb er jeden Abend nur sah,
     wie die Sonne hinter einem kleinen Birkenhain zwischen
     dem Altersheim und der Kirche von Marnäs im Westen verschwand. Jetzt im Oktober trugen die Äste der Birken kaum
     noch Laub und ähnelten kleinen Armen, die sich der sinkenden, gelbroten Sonnenscheibe entgegenstreckten.
    Die Stunde der Schatten war gekommen – die Stunde der
     schaurigen Geschichten.
    In seiner Kindheit in Stenvik wurde um diese Zeit die Arbeit auf den Feldern und in den Bootshäusern beendet. Alle
     versammelten sich in den Hütten, aber die Petroleumlampen
     wurden noch nicht angezündet. Die Älteren saßen in dieser
     Stunde der Schatten und besprachen, was sie am Tag erledigt
     hatten und was auf den anderen Höfen im Dorf geschehen
     war. Und ab und zu erzählten sie den Kindern in der Hütte
     Geschichten.
    Gerlof hatten die gruseligsten Geschichten immer am Besten gefallen. Erzählungen von Gespenstern, mystischen
     Zeichen, Trollen und dem jähen Tod in der öländischen
     Einsamkeit. Oder Geschichten von Schiffswracks, die an
     die Steinküste getrieben wurden und an den Klippen zerschellten.
    Die Essensglocke klingelte zum zweiten Mal.
     Ein Kapitän, der vom Sturm überrascht und mit seinem
     Schiff zu nah an die Küste getrieben wurde, würde früher
     oder später die Steine auf dem Meeresboden gegen den Kiel
     schlagen hören, lauter, immer lauter, und das war der Anfang vom Ende.
    Möglicherweise war er in Ausnahmefällen weitsichtig genug, früh genug den Anker auszuwerfen, um sich dann vorsichtig gegen den Wind wieder ins offene Meer ziehen zu
     können. Doch die meisten Schiffe ließen sich keinen Meter
     mehr bewegen, wenn sie erst einmal auf Grund gelaufen waren. Oft mussten die Seeleute sie schnell verlassen, um sich
     und die Besatzung an Land zu retten, und standen dann nass
     und frierend am Ufer und mussten hilflos zusehen, wie der
     Sturm das Schiff noch fester auf Grund presste und die Wellen
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