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Öland

Öland

Titel: Öland
Autoren: Johan Theorin
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Westentasche. Er flieht mit gesenktem Kopf,
     springt hinter den ersten großen Busch und wartet auf einen
     Schuss. Kaum hockt er dort, im Schutz eines Wacholderbusches, als er auch schon vorbeizischt.
    Nils hört ihre lauten Rufe im Nebel, aber sie entfernen sich.
     Er bleibt nicht, sondern läuft mit großen Schritten weiter.
    Ist das der richtige Weg ins Dorf?
     Nils glaubt und hofft es. Er will zu seiner Mutter, jetzt wird
     ihn keiner mehr aufhalten.
    Da sieht er in einiger Entfernung plötzlich eine Gestalt im
     Nebel, bleibt stehen und verschnauft.
    Er ist bereit, sofort weiterzurennen, doch dies ist keiner
     seiner Verfolger. Es ist ein kleiner Junge, nicht älter als fünf
     oder sechs Jahre. Er taucht aus dem grauen Nebel auf und
     bleibt in etwa zwanzig Meter Entfernung stehen.
    Der Junge ist klein, zart und trägt eine kurze Hose und einen
     dünnen, roten Pullover. Seine Füße stecken in Sandalen. Er
     sieht Nils neugierig an und zögert, als wüsste er, dass er Angst
     haben sollte, aber keine hat.
    Für Kinder ist Nils auch nicht gefährlich. Er hat sich in seinem Leben immer nur verteidigt und wollte damals wirklich
     seinen Bruder vor dem Ertrinken retten, kam aber zu spät.
    »Hallo«, sagt er und schnauft laut.
    Er versucht seinen keuchenden Atem zu beruhigen, damit
     der Junge keine Angst bekommt.
    Der Junge antwortet nicht.
    Nils sieht sich nervös um, aber ihm ist niemand gefolgt.
     Der Nebel schützt ihn. Aber er darf nicht zu lange bleiben.
    Dann sieht er den Jungen an, ohne zu lächeln, und fragt
     leise:
    »Bist du allein?«
    Der Junge nickt wortlos.
    »Hast du dich verlaufen?«
    »Ich glaube, ja«, sagt der Junge.
    »Das ist nicht schlimm … Ich kenne mich aus in unserer
     Großen Alvar.« Nils tritt einen Schritt näher: »Wie heißt du?«
     »Jens«, antwortet der Junge.
    »Und weiter?«
    »Jens Davidsson.«
    »Gut. Ich heiße …«
    Nils zögert – welchen seiner Namen soll er nennen?
    »Ich heiße Nils«, antwortet er schließlich.
    »Und weiter?«, fragt Jens.
    Nils lacht kurz auf.
    »Ich heiße Nils Kant«, sagt er und kommt noch einen
     Schritt näher.
    Der Junge steht noch immer an derselben Stelle, in einer
     Welt, die nur aus Gras, Steinen und Wacholderbüschen zu
     bestehen scheint. Gras, Steine und Büsche sind das Einzige,
     was es in diesem Nebel gibt. Nils versucht zu lächeln, um ihm
     anzudeuten, dass er keine Angst haben muss.
    Sie sind vom Nebel eingeschlossen, kein Laut ist zu hören.
     Nicht einmal Vogelgezwitscher.
    »Hab keine Angst«, sagt Nils.
    Er will den Jungen mit ins Dorf nehmen und ihn nach
     Hause bringen, bevor er zu seiner Mutter geht.
    Sie stehen fast nebeneinander, Nils und Jens.
     Plötzlich platzt hinter ihnen ein jaulendes Motorengeräusch aus dem Nebel. Nils will sich umdrehen und davonlaufen.
    Das Dröhnen scheint aus allen Richtungen gleichzeitig zu
     kommen.
    Es ist der braune Volvo, er kommt zwischen den Steinen
     und Büschen angeschossen, schlingert über das Gras und
     steuert direkt auf Nils zu, ohne zu bremsen.
    Rechts oder links?
    Der Wagen wird rasend schnell immer größer und breiter.
     Nils bleiben nur Sekunden, eine Sekunde, um sich zu entscheiden – dann ist es zu spät. Er kann nur in die Scheinwerfer schauen, den Arm um den Jungen gelegt. Alles verschwindet, alles wird still, kalt und dunkel.
    Die Geräusche kehren als gedämpfte Stimmen zurück.
     Wind, Kälte und ein Auto im Leerlauf.
    »Hast du ihn erwischt?«, fragt eine Stimme.
    »Ja, ich kann ihn sehen.«
    Nils liegt auf dem Rücken. Sein rechtes Bein ist in einem eigenartigen Winkel verdreht, aber er spürt keinen Schmerz.
    Der Wagen steht mit laufendem Motor wenige Meter neben ihm. Die Fahrertür öffnet sich, der Polizist steigt langsam
     aus und kommt auf ihn zu, den Revolver in der Hand.
    Auch die Beifahrertür wird geöffnet, und Gunnar steigt
     aus, bleibt jedoch neben dem Wagen stehen, sieht auf die
     Alvar.
    Der Polizist bleibt vor Nils stehen.
    Er sagt nichts, starrt ihn nur unverwandt an.
    Nils erinnert sich plötzlich an den Jungen aus dem Nebel.
    Wo ist er hingerannt?
    Er ist verschwunden.
    Nils hofft von ganzem Herzen, dass es Jens Davidsson gelungen ist wegzulaufen, in dem Nebel zu entkommen, dass er
     mit seinen kleinen Sandalen den Weg nach Stenvik gefunden
     hat. Eine gelungene Flucht. Nils will ihm folgen, er will heim,
     kann sich aber nicht bewegen.
    »Vorbei«, stößt er hervor.
    Es ist vorbei, Mama. Es endet hier in der Alvar.
    Nils ist so
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