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Öland

Öland

Titel: Öland
Autoren: Johan Theorin
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trafen sich durch einen Schleier
     von Tränen.
    Als sie ihren Vater ansah, meinte Julia in diesem Moment
     sehen zu können, wie Jens als erwachsener Mann ausgesehen
     hätte.
    Die beiden wären sich sehr ähnlich gewesen, Großvater
     und Enkelkind. Jens hätte auch so große, etwas sorgenvolle
     Augen gehabt, Denkerfalten auf der Stirn und einen klugen
     und verständnisvollen Blick, der sowohl das Gute als auch
     das Böse auf dieser Welt erkannte.
    »Ich liebe dich, Papa.«
    Sie nahm Gerlofs Hand und drückte sie fest an sich.

EPILOG
    E s war der erste richtige Frühlingstag, ein Tag voller Sonne
     und Wärme, Blumen und Vögel, einer dieser Tage, an denen
     der Himmel über Öland aussieht wie ein aufgespanntes, hellblaues Laken, das sich im Wind hebt. Ein Tag, an dem einem
     das Leben wie ein Ort voller Möglichkeiten erscheint.
    Für Lokalreporter Bengt Nyberg war der Frühling, wenn er
     endlich zu erscheinen beliebte, der eigentliche Beginn des
     neuen Jahres auf Öland. An solchen Tagen freute er sich,
     wenn er möglichst viel draußen sein konnte.
    Bengt hatte viele Überstunden, die er abbummeln musste.
     Er hätte sich tagelang freinehmen können, um in der Frühlingssonne zu spazieren und dem herrlichen Gesang der
     Vögel in der Alvar zu lauschen – aber an diesem Tag wollte er
     unbedingt arbeiten.
    Er schloss die Augen, hielt sein Gesicht in die Sonne, und
     drehte sich dann zum Kirchturm von Marnäs auf der anderen Seite der Steinmauer um.
    Als letzten Winter das Grab von Nils Kant geöffnet worden
     war, hatten sich viele ungebetene Zaungäste eingefunden, ein
     richtiger Menschenauflauf war es gewesen, den nur Polizeiabsperrungen auf Distanz halten konnten. Beim Begräbnis an
     diesem Donnerstag waren es nicht mehr ganz so viele, aber
     der Pfarrer hatte sie gebeten, der Zeremonie nicht beizuwohnen, sondern außerhalb der Kirchenmauer zu bleiben.
    Darum stand Bengt dort als einziger Reporter mit dem
Notizheft in der Hand. Neben ihm hüpfte ein junger Fotograf
     herum, den die Redaktion in Borgholm geschickt hatte, obwohl Bengt angeboten hatte, selber zu fotografieren. Aber
     das hier war natürlich ein großer Fisch, den man vielleicht
     noch an die großen, überregionalen Zeitungen verkaufen
     konnte, da genügten die Schnappschüsse mit Bengts einfacher Kamera logischerweise nicht.
    Der Fotograf, den sie ihm geschickt hatten, war gerade eingestellt worden. Er stammte aus Småland und hieß Jens. Vermutlich war Ölands-Posten nur eine Stufe auf seiner Karriereleiter – einer Karriere, die in ein paar Jahren mit Sicherheit
     bei einer der großen Abendzeitungen in Stockholm enden
     würde. Er war ehrgeizig, aber langweilig und konnte nicht
     stillstehen. Kaum war ihnen ein Platz außerhalb der Friedhofsmauern zugewiesen worden, als er auch schon anfing,
     sich nach einem geeigneteren Ort umzusehen, an dem er
     sein Stativ aufbauen könnte.
    »Ich glaube, ich schleiche mich auf den Friedhof«, erzählte
     er Bengt aufgeregt von seinem Plan. »Wenn ich da vorne an
     der Mauer …«
    Bengt schüttelte nur den Kopf. »Bleib hier«, unterbrach
     er ihn.
    Sie warteten in der Sonne, und nach einer Weile verließen
     die Trauergäste die Kirche. Die automatische Kamera begann
     zu klicken.
    Julia Davidsson, die Mutter des Toten, folgte dem Pfarrer.
     Neben ihr ging Gerlof, der Großvater des Kindes. Beide trugen
     schwarze Kleidung. Hinter ihnen erschien ein groß gewachsener Mann in Julias Alter, auch er in einem schwarzen Mantel.
    »Wer ist denn der?«, flüsterte Jens, als er für einen Moment
     die Kamera sinken ließ.
    »Das ist der Vater des Jungen«, erklärte Bengt.
    Julia Davidsson stützte ihren Vater auf dem Weg zum Grab,das sich südlich vom Kirchengebäude befand. Als der Sarg
     beigesetzt wurde, standen die beiden Seite an Seite. Gerlof
     hatte den Kopf gesenkt, Julia warf eine Rose ins Grab.
    Das Ganze wirkte irgendwie gut und versöhnlich, fand
     Bengt. Im letzten halben Jahr waren so viele schreckliche
     Dinge geschehen und zutage gekommen: Ernst Adolfssons
     rätselhaftes Ende im Steinbruch von Stenvik, Gunnar Ljungers angeblicher Selbstmord auf dem Polizeirevier, die zweite
     Sandale des Jungen, die man im Safe in seinem Hotelbüro in
     Långvik entdeckt hatte. Der kleine Schuh, dessen Pendant
     Schiffsreeder Martin Malm im vergangenen Spätsommer an
     den Großvater geschickt hatte.
    Der Fall schien abgeschlossen, aber wenige Tage später
     hatte Lennart Henriksson eine
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