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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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Abakiri.«
    Es war ein einziges Rätselraten. Die Rebellen hielten ihre Lager geheim, weil ihr Leben davon abhing; davon und von ihrer Fähigkeit, beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten durch die Patrouillen der Bundesarmee, mit denen sie sich im ständigen Kriegszustand befanden, ihre Zelte zusammenzupacken und den Standort zu wechseln. Wenn sie die Presse einluden, Geiseln zu besuchen oder ausführliche Interviews über die Gründe ihres Kampfes gegen die Regierung geben wollten, taten sie das stets in einem Dorf oder auf einer verlassenen Insel weit weg von ihrem Lager. Fest stand jedoch, dass sie sich nie allzu weit von den Pipelines und Bohrinseln und Raffinerien entfernten, die sie fortgesetzt in die Luft zu jagen drohten, womit sie sich ihr Überleben sicherten. Wenn es dem Alten gelang, uns zu ihrem tatsächlichen Lager zu bringen, und wir es schafften, wohlbehalten von dort zurückzukehren, dann gehörten wir zu den wenigen Reportern, die das vollbracht hatten. Mein Bauchgefühl sagte mir, im nächsten Dorf auszusteigen, mich auf den Rückweg nach Port Harcourt zu machen und die Weiße zu vergessen, weil die Rebellen sie letztlich sowieso freilassen würden; die perfekte Story zu vergessen, weil es so etwas wie eine perfekte Story überhaupt nicht gab und ich bereits genügend aufgeschrieben hatte, um von meinem Redakteur mit offenen Armen empfangen zu werden; Irikefe Island zu vergessen, wo wir die letzten fünf Tage festgesessen hatten, bevor der Alte und sein Sohn uns holen kamen, und vor allem Zaq mit seinem verzweifelten, übertriebenen Ehrgeiz hinter mir zu lassen. Sollte doch das Leben so weitergehen wie früher: einfach, vorhersehbar, ausgefüllt mit Myriaden eigener Angelegenheiten. Nur: Welcher Journalist hungert nicht nach der perfekten Story, an der wir hier, wie Zaq erklärte, und dem stimmte ich vorbehaltlos zu, so nahe dran waren, wie ein Reporter nur je herankommen konnte. Der bloße Gedanke daran, umzukehren, ließ mich erkennen, wie armselig und minderwertig das Leben nach der Aufregung der letzten Tage wäre, und während wir immer weiter stromaufwärts fuhren, und uns weiter und weiter vom Meer entfernten, unternahm ich nichts, um aus der Sache auszusteigen. Ich fühlte, wie sich Hoffnung und Zweifel in meiner Brust abwechselten. Ich fühlte, wie sich ein Hunger in mir regte, etwas, das ich noch nie zuvor gespürt hatte, eine Überzeugung fast schon, dass mir bestimmt war, hier zu sein, auf diesem Boot, auf dieser Fährte. Es war, als wehte eine Brise durch einen lang vergessenen Teil meines Gehirns. Ich wusste, dass Zaq diese aufkeimende Hoffnung in meinen Augen lesen konnte; er konnte sie benennen und beschreiben, wie unwiderstehlich ihre Anziehungskraft war.
    Weit voraus tauchte, plötzlich wie ein Wunder, eine riesige Klippe aus dem Wasser auf. Stufen waren ungleichmäßig in den Fels gehauen und führten zu einem Baumdickicht, das die Grenze eines Dorfes beschrieb. Wir legten an und kletterten die tückischen Steinstufen hinauf, mussten aber oft innehalten, um wieder zu Atem zu kommen.
    »Wer lebt hier?«
    Der Alte zuckte die Schultern.
    »Niemand.«
    »Wo sind die Leute hin?«
    »Sind fort wegen zu viel Kampf.«
    Das Dorf sah aus, als hätte eine tödliche Epidemie in ihm gewütet. Das Quadrat einer Betonplattform beherrschte das Dorfzentrum. Sie sah aus wie ein Opferaltar. Um die Plattform herum lag zurückgelassenes Bohrgerät verstreut; einiges schien neben dicken Grasbüscheln direkt aus den breiten Rissen im Beton zu sprießen. Hoch oben in der verrosteten Takelage flogen die Wespen aus ihren Nestern oder schlüpften hinein. Neben der Plattform verkündete ein verwittertes Anschlagbrett: OIL WELL NO. 2. 1999, 15,000 METRES. Unweit der herrenlosen Plattform begannen die Häuser. Wir gingen von einem plumpen Ziegelbau zum nächsten, von Gehöft zu Gehöft, aber sie waren alle verlassen. Weit geöffnete Fenster, die schief in geborstenen Angeln hingen, und die Dächer darüber hatten große Löcher, durch die das grelle Sonnenlicht einfiel. Hinter einem Haus entdeckten wir ein Hühnergehege mit vielleicht zehn Hühnern, allesamt tot und verwesend; unter den Federn taten sich die Maden gütlich. Wir hielten uns die Nasen zu und gingen zum nächsten Gehöft hinüber, aber auch dort war es kaum anders: Kochtöpfe standen leer und kalt auf erloschenen Herden; daneben befanden sich volle Wassertöpfe, auf deren Oberfläche dicht an dicht Moskitolarven gediehen. Wir brauchten weniger
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