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Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel
Autoren: Robert Silverberg
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sich in eine Vorster-Halle zu verirren und dort Unfug anzustellen.
    Dumpf hielt sich Weiner an der Leiste fest, lehnte sich nach vorne und beobachtete den Ablauf der Andacht. Kirby blinzelte durch das Halbdunkel nach dem Mann hinter dem Altar.
    Der Reaktor war eingeschaltet und glühte – ein Würfel aus Kobalt-60, von Wasser umgeben, um die gefährlichen Strahlen abzufangen, bevor sie das menschliche Fleisch durchdringen konnten. Im Halbdunkel bemerkte Kirby ein schwaches blaues Leuchten, das langsam immer heller und intensiver wurde. Jetzt war das ganze Gitterwerk des kleinen Reaktors in weißblaues Licht getaucht, und darum herum wirbelte ein unheimliches, grünblaues Leuchten, das in seinem Kern nahezu purpurn war. Es war das Blaue Feuer, das unheimliche kalte Licht der Zerenkow-Strahlung; es breitete sich immer weiter nach draußen aus, bis es den ganzen Raum umschlossen hatte.
    Darin lag nichts Metaphysisches, das wußte Kirby. Elektronen brandeten gegen den Wassertank und drangen schneller als mit Lichtgeschwindigkeit in dieses Medium ein. Und während sie sich bewegten, schleuderten sie einen Photonenstrom aus. Es gab einige hübsche Gleichungen, um die Quelle des Blauen Lichts zu erklären. Eines mußte man den Vorstern zugute halten: Sie behaupteten nie, es handle sich dabei um etwas Übernatürliches. Dennoch war das blaue Licht ein hübsches Symbolinstrument, ein Fokus für religiöse Empfindungen, der weit farbiger war als das Kreuz, weit spannender als die Zehn Gebote.
    Ruhig sagte vorn der Vorster: „Es gibt eine Harmonie, von der alles Leben abstammt. Die Bewegungen der Elektronen haben uns die grenzenlose Vielfalt des Universums geschenkt.
    Die Atome treffen sich; ihre Partikel umschlingen sich, Elektronen springen von Orbit zu Orbit, und chemische Prozesse entstehen.“
    „Hör sich einer mal dieses fromme Arschloch an“, schnaubte Weiner. „Mehr als einen Chemiekurs für Anfänger hat er nicht zu bieten!“
    Wütend biß sich Kirby auf die Lippen. Ein Mädchen in der Reihe vor ihnen drehte sich herum und sagte mit leiser, eindringlicher Stimme: „Bitte. Bitte hören Sie doch erst einmal zu.“
    Sie war so ein lähmender Anblick, daß selbst Weiner zum ersten Mal die Worte fehlten. Schockiert keuchte der Marsianer. Kirby, obwohl schon früher mit chirurgisch veränderten Frauen konfrontiert gewesen, war ebenfalls zu kaum einer Bewegung fähig. Schillernde Schalen bedeckten die Öffnungen, an denen sich einst die Ohren befunden hatten. Ein Opal war in ihre Stirnplatte eingelassen, und ihre Lider bestanden aus glänzenden Metallplättchen. Die Chirurgen hatten auch mit ihren Nasenlöchern und Lippen etwas angestellt. Vielleicht war sie Opfer eines schrecklichen Unfalls gewesen. Aber höchstwahrscheinlich hatte sie sich freiwillig, aus kosmetischen Gründen, „behandeln“ lassen. Wahnsinn. Der blanke Wahnsinn.
    Der Vorster sagte: „Die Energie der Sonne … das grüne Leben, das in den Pflanzen aufwallt … das ständig neue Wunder des Wachstums – das alles verdanken wir dem Elektron. Die Fermente unseres Körpers … die blitzenden Synapsen unseres Gehirns … das Schlagen unseres Herzens – das alles verdanken wir dem Elektron. Treibstoff und Lebensmittel, Licht und Hitze, Wärme und Nahrung, jedes und alles entsteht aus der Harmonie, die aus der Immanenten Strahlung kommt …“
    Eine Litanei, bemerkte Kirby. Überall um ihn herum wiegten sich die Leute im Rhythmus der halb gesungenen Worte, nickten und weinten sogar teilweise. Das Blaue Feuer loderte immer weiter auf und erreichte schließlich die herabhängende Decke. Der Mann am Altar hob seine langen, spinnenartigen Arme wie zur Segnung hoch.
    „Kommt her“, rief er. „Kniet nieder und vereinigt euch im Gebet! Verschließt die Arme, senkt die Köpfe und dankt der fundamentalen Einheit aller Dinge!“
    Die Vorster begannen auf den Altar zuzuströmen. In Kirby erwachten dadurch Erinnerungen an seine anglikanische Kindheit: Man ging nach vorn, um die heilige Kommunion entgegenzunehmen, die Hostie auf der Zunge, der kurze Schluck Meßwein, der Geruch von Weihrauch, das Rascheln der Priestersoutane. Seit fünfundzwanzig Jahren war Kirby nicht mehr in einer Messe gewesen. Viel mußte geschehen sein, um von der gewölbten Großartigkeit der Dome zu der schäbigen Häßlichkeit dieser improvisierten Monstranz zu gelangen. Doch einen kurzen Moment lang fühlte Kirby ein religiöses Bedürfnis aufflackern; ganz schwach spürte er den Drang,
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