Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
immer wirr. Er lag auf dem Rücken. Der Kopf ruhte auf Kissen, und die Wangen waren eingefallen.
    Auf der anderen Straßenseite, gegenüber der Vorster-Halle, lag ein Sniffer-Laden. Kirby hatte den Marsianer allein aus der Kultstätte hinaustragen müssen; er hatte ihn sich über die Schulter geworfen. Die Vorster erlaubten keinen Sanitätsrobotern den Eintritt. Der Sniffer-Laden war ihm genausogut wie jeder andere Ort erschienen.
    Das Esper-Mädchen war zu den beiden gekommen, als Kirby schwankend den Laden betreten hatte. Sie war ebenfalls ein Vorster – das blaue Haar wies darauf hin – aber anscheinend hatte sie für diesen Tag ihre Andacht beendet und beschloß nun ihren Tag mit einer schnellen Sniff-Inhalation. Sofort war ihr Mitleid erwacht, und sie hatte sich hinabgebeugt, um Weiners errötetes, schweißbedecktes Gesicht zu begutachten. Sie hatte Kirby gefragt, ob sein Freund einen Schlaganfall erlitten habe.
    „Ich weiß auch nicht genau, was mit ihm geschehen ist“, sagte Kirby. „Er war betrunken und hat in der Vorster-Halle randaliert. Der Andachtsleiter hat seine Kehle berührt.“
    Das Mädchen lächelte. Sie wirkte verwahrlost und zerbrechlich und schien höchstens achtzehn oder neunzehn zu sein. Ihre Begabung hatte allzu deutliche Spuren hinterlassen. Sie schloß die Augen, ergriff Weiners Hand und preßte so lange auf das Gelenk, bis der Marsianer wieder zum Leben erwachte. Kirby konnte sich nicht erklären, wie sie das angestellt hatte. Das alles war ein Mysterium für ihn.
    Und jetzt strömte zusehends die Kraft in seinen Körper zurück. Weiner versuchte, sich aufzurichten. Er suchte die Hand des Mädchens und hielt sie. Die Esperin machte keinen Versuch, sich davon zu befreien.
    Er sagte: „Womit haben sie mich geschlagen?“
    „Es war eine momentane Veränderung ihres elektrischen Ladungszustands“, erklärte ihm das Mädchen. „Für eine tausendstel Sekunde hat er Ihr Herz und Ihr Gehirn abgeschaltet. Aber daraus erwächst kein dauerhafter Schaden.“
    „Wie hat er das gemacht? Er hat mich doch nur mit den Fingern berührt.“
    „Es gibt da eine bestimmte Technik. Aber mit Ihnen ist nun alles in Ordnung.“
    Weiner starrte das Mädchen fest an. „Sind Sie ein Esper? Lesen Sie gerade meine Gedanken?“
    „Ich bin eine Esperin, aber ich lese keine Gedanken. Ich bin lediglich ein Empath. Sie stecken voller Haß. Warum gehen Sie nicht zurück auf die andere Straßenseite? Und bitten ihn um Verzeihung? Ich weiß genau, daß er Ihnen vergeben wird. Lassen Sie sich von ihm unterrichten. Haben Sie Vorsts Buch gelesen?“
    „Warum scheren Sie sich nicht zur Hölle?“ sagte Weiner beiläufig. „Nein, tun Sie das nicht. Sie sind zu süß. Wir haben auch auf dem Mars ein paar süße Esperinnen. Haben Sie Lust, sich heute einen schönen Abend zu machen? Ich heiße Nat Weiner, und das ist mein Freund, Ron Kirby. Reynolds Kirby. Er ist ein richtig steifes Hemd, aber wir können ihn ja abhängen.“ Der Griff des Marsianers auf dem schlanken Arm des Mädchens wurde fester. „Na, was meinen Sie?“
    Das Mädchen sagte gar nichts. Sie runzelte lediglich die Stirn. Weiner blickte ganz merkwürdig drein und ließ den Arm los. Kirby, der die ganze Szene mitbekommen hatte, mußte ein Grinsen unterdrücken. Weiner zog Ärger und Mißverständnisse wie magisch an. Dies war wahrscheinlich eine vertrackte Welt für ihn.
    „Gehen Sie auf die andere Straßenseite“, flüsterte das Mädchen. „Dort wird man Ihnen helfen.“
    Sie drehte sich um und verschwand im Halbdunkel, ohne auf eine Antwort zu warten. Weiner fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er Spinnweben von seinem Gehirn fegen. Er rappelte sich auf und ignorierte Kirbys ausgestreckten Arm.
    „Wo sind wir hier eigentlich?“ fragte er.
    „In einem Sniffer-Laden.“
    „Wird man mich hier auch mit Gebeten belästigen?“
    „Man wird Ihnen nur ein wenig das Gehirn vernebeln“, sagte Kirby. „Wollen Sie es mal versuchen?“
    „Klar, ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich alles ausprobieren möchte. Schließlich komme ich nicht jeden Tag auf die Erde.“
    Weiner grinste, aber das Grinsen fiel reichlich trübe aus. Er schien nicht mehr über seinen vollen Unternehmungsgeist zu verfügen wie das noch vor einer Stunde der Fall war. Natürlich hatte ihn der K.-o.-Schlag des Vorsters etwas ernüchtert. Aber er verspürte immer noch eine ziemlich unbändige Lust, alle Sünden kennenzulernen, mit denen dieser verderbte Planet aufwarten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher